Leid, das Megaphon Gottes

Der sicherste Weg zur Hölle ist der allmähliche – der sanfte Hang, angenehm für die Füße, ohne plötzliche Kurven, ohne Meilensteine, ohne Wegweiser.
– C.S. Lewis

Ein Zitat von Randy Alcorn

Zum besseren Verständnis soll hier die Zusammenfassung auf dem Buchrücken wiedergegeben werden:

Jordan Fletcher ist ein ganz normaler Familienvater, Kollege, Nachbar und Verkehrsteilnehmer. Im Grunde sympathisch, wenn auch öfters genervt, stolpert er Tag für Tag durch sein Leben. Dabei ahnt er nicht im Geringsten, dass um ihn herum eine Schlacht entbrannt ist, in welcher Himmel und Hölle um seine Seele kämpfen. In diesem dramatischen Konflikt zwischen Licht und Finsternis zeigen beide Seiten großen Einsatz.

Was in diesem scheinbar normalen Leben wirklich geschieht und welche Dimensionen auf dem Spiel stehen, erfährt der Leser durch die Briefe, die Graf Moderthal an Qualob, seinen Untergebenen, in diesem Zusammenhang schreibt. Dabei geht es auch um aktuelle Lebensphilosophien, die neuen Medien, Ehe- und Beziehungsprobleme, Sexualität, Okkultismus – aber auch um falsche Vorstellungen von Himmel und Hölle sowie um Umgang mit Zeit, Geld und unglaubwürdigen Christen.

Brief 28 - Leid, das Megafon des Feindes

An meinen schadenfrohen Untergebenen Qualob.

Du schwärmst ständig davon, wie sehr dieses menschliche Ungeziefer leiden muss. Wenn du nicht als blutiger Amateur gelten willst, musst du dieses theatralische Getue sein lassen. Nimm dir einen meiner ehemaligen Schädlinge zum Vorbild: Dieser Nazi-Soldat hat gelangweilt seine Nägel gefeilt, während Frauen und Kinder an ihm vorbei zur Gaskammer marschiert sind. Beweise gefälligst, dass du zu den kultivierten Dämonen gehörst.

Offenbar freust du dich hämisch darüber, dass Fletchers Rückenschmerzen chronisch geworden sind. Du hast ihn dazu gebracht, um seine Zwillingsschwester zu weinen, die in einem Fluss ertrunken ist. Und du weidest dich an dem Entsetzen, das ihn befallen hat, als er entdeckt hat, in was für einer dunklen Welt der junge Daniel (sein Sohn) zu Hause ist. Du brüstest dich damit, dass Fletchers Frau schwanger ist, und meinst, diese Schwangerschaft werde sich negativ auf ihre Ehe auswirken, weil beide nicht mehr ganz jung sind. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, glaubst du auch noch, du hättest dafür gesorgt, dass dieses Kind unter einer Chromosomenstörung leidet.

Qualob, du hast dich berauscht an menschlichem Leid. Werde gefälligst wieder nüchtern!

Was deine Prahlereien über Krankheiten und Behinderungen betrifft, so rate ich dir zu etwas mehr Zurückhaltung. Es ist nämlich fraglich, inwieweit wir solche Heimsuchungen überhaupt herbeiführen können. Rattenkopf ist davon überzeugt, dass allein der Feind etwas entstehen lassen kann und dass wir nur verschandeln können, was er bereits geschaffen hat. Er ist der Meinung, dass wir uns die Zeugung eines behinderten Kindes nicht als unser Verdienst anrechnen können. Absonderlich ist, dass der Feind behauptet, diese jämmerlichen Schädlinge seien sein Werk, diese behinderten Kreaturen seien nach seinem Ebenbild geschaffen – gerade so, als seien sie kein Schandfleck, sondern Grund zum Stolz.

Es stimmt, das Verbotene Buch räumt ein, dass wir den Schädlingen bestimmte Leiden zufügen können. Doch nimm dich in Acht, womit du dich brüstest, es sei denn, du hast Macht über Chromosomen – etwas, worüber nicht einmal unser Fürst verfügt.

Behinderungen

Da diese Kakerlaken so viel Wert darauf legen, „das perfekte Kind“ zu haben – das beruht übrigens auf Stolz und nicht auf Liebe -, sind sie am Boden zerstört, wenn dieses Kind nicht kerngesund ist. Ihr Schmerz bereitet uns ein herrlich pikantes Vergnügen. Doch verfalle nicht auf den Gedanken, du hättest bei diesen Dingen die Fäden in der Hand gehabt. Achte vor allem auf die Ziele, die der Feind damit verfolgt, wenn er diesem Paar ein solches Kind schenkt. Fletchers christliche Geisteshaltung löst womöglich ganz andere Reaktionen aus, als du erhoffst – was vor einem Jahr noch funktioniert hätte, klappt jetzt vielleicht nicht mehr.

Denk bloß an das agnostische Ehepaar, dass ich einmal zu betreuen hatte. Solange sie und ihre Kinder gesund und wohlauf waren, hatte ich sie fest im Griff. Doch dann bekam ihr jüngstes Kind im Alter von sieben Jahren eine tödliche Krankheit. Wochenlang labte ich mich an ihrem Leid. Doch dann geschah etwas: Sie beteten für ihren Sohn – sie, die nie zuvor gebetet hatten! In ihrer Ehe hatte es schon längere Zeit gekriselt, die Scheidung war nur noch eine Frage der Zeit. Doch plötzlich sorgte sich der Mann um seinen Sohn. Die Frau ging auf ihren Mann zu. Sie begannen, miteinander zu sprechen, einander mitzuteilen, was in ihnen vorging.
Dann kam die Nachbarin, eine Christin, herüber, wachte bei dem Kind, brachte Essen, bot ihre Gebete und Unterstützung an. Schlagartig gerieten die Dinge außer Kontrolle. Zuerst bekehrte sich die Frau, dann der Mann und schließlich auch der Junge. (…)
Was ich mit diesem Beispiel sagen will: Es herrschten Schmerz und Kummer, und der Junge starb nach fünf Jahren. Doch bei alledem handelte es sich nur um vorübergehendes Leid. Wir gewannen eine Schlacht, aber der Krieg war verloren.

Wenn du sie dazu bringen kannst, das idiotische Kind umzubringen, hast du dagegen dein Ziel erreicht. Natürlich würden sie es „dem Kind zuliebe“ tun. (Morde, die den Ermordeten zuliebe begangen werden, sind uns immer die liebsten.) Dadurch würden sie eine Schuld auf sich laden, die voraussichtlich ihre Ehe zerstört, ihren Materialismus fördert und Fletchers Glauben lähmt.

Doch sei auch in einem solchen Fall auf der Hut. Denn das Böse, was die Leute tun, kann uns selbst zum Fallstrick werden. Wie viele dieser Schleimbeutel wenden sich Jahre oder Jahrzehnte später an den Feind, weil sie von ihrem schlechten Gewissen geplagt werden und mit ihrer Vergangenheit ins Reine kommen wollen? Dass er so unbeirrt an seiner fixen Idee der „Gnade“ festhält und sich darum reißt, ihnen zu vergeben, treibt mich noch zur Weißglut.

Wenn das Kind lebt, könnte man annehmen, dass es all ihre Zeit in Anspruch nimmt und sie von Beschäftigungen abhält, mit denen sie sich lieber abgegeben hätten. Doch wie viele Familien wurden durch das Dasein solcher Kinder regelrecht verwandelt? Haben wir nicht schon erlebt, wie viele dieser Schädlinge ihre Prioritäten anders setzten und wie sehr sie durch das „bezaubernde Wesen“ dieser minderwertigen Kinder bereichert, anstatt, wie wir dachten, zugrunde gerichtet wurden? Wie viele kamen dem Feind durch die seelischen Erschütterungen, die wir anfangs bejubelten, erst näher?

Krankheit und Leid

Peile keine kurzfristigen Erfolge an, Qualob, sondern behalte das große Ziel im Auge. Was Fletchers Rücken betrifft, so tut es dir sicher gut, wenn du siehst, wie er seine Schnürsenkel nicht ohne Schmerzen zubinden kann und wie ihm die Tränen in die Augen steigen. Aber werde nicht sentimental. Dieser Schmerz ist gefährlich, denn er erinnert ihn daran, dass etwas nicht in Ordnung ist und dass nicht alles so ist, wie es sein sollte. Er könnte seine Machtlosigkeit erkennen und sich nach einer besseren Welt sehnen. Seine Schmerzen und Tränen könnten dazu führen, dass er feinfühliger auf die Beschwerden seiner Frau eingeht und empfindsamer für das Leid einer Welt wird, von der er bisher keine Notiz genommen hat.

Der Feind und wir unterziehen diese Schädlinge den gleichen Prüfungen. Mit dem Unterschied, dass er möchte, dass sie die Prüfung bestehen, und wir darauf aus sind, dass sie durchfallen.

Je leichter ihr Leben ist, umso weniger Tiefgang hat es. In Friedenszeiten verschwenden sie keinen Gedanken an Gut oder Böse. Wenn sie gesund sind und alles glatt läuft, denken sie weder an ihre eigene Lage noch an die der Welt. Wohlstand ist für unsere Kriegsführung das beste Wetter. Not begünstigt die Arbeit des Feindes. 90 Prozent des christlichen Ungeziefers bestehen die Prüfung der Not, aber bei der Prüfung des Wohlstands fallen 90 Prozent durch.

Leiden ist das Megafon des Feindes. Damit kann er sogar diejenigen erreichen, die fast taub sind. Das Verbotene Buch nennt ihn den „Gott … der uns tröstet“. Wenn die Schädlinge Trost suchen, gibt er sich ihnen zu erkennen. Doch sie suchen nur dann nach Trost, wenn sie das Leid am eigenen Leibe spüren.

Du jubelst über die neuesten Kriege, Hungersnöte und Naturkatastrophen. Setze nicht allzu viele Hoffnungen auf diese Ereignisse. In Friedenszeiten und im Wohlstand, wenn man dem Tod nicht auf Schritt und Tritt begegnet, ist unsere Arbeit viel leichter.

Vor etwa hundert Jahren hatte ich einen Schädling sicher im Griff, doch der Krieg hat bei diesem Mann zwei schreckliche Dinge angerichtet. Erstens wurde er an seine Sterblichkeit erinnert. Mitten im Todesgetümmel konnte er gar nicht anders, als über die Möglichkeit seines eigenen Todes nachzudenken. Der Himmel bebte von den ständigen Explosionen, die Luft war mit Rauch geschwängert. Als er vor der Schlacht im Verbotenen Buch las, gingen ihm die Worte seines Vaters und der Glaube des Soldaten neben ihm durch den Kopf. (Eine tödliche Krankheit ist diesbezüglich vorteilhafter, deshalb befürworten wir die aktive Sterbehilfe. Wenn die Schädlinge wissen, dass sie bald sterben, müssen wir alles tun, um sie zu töten, bevor der Feind dieses Wissen ausnutzt.)

Schließlich begann die Schlacht, und es passierte das Zweite: Er erwies sich als Feigling. Ich ergötzte mich zunächst an seiner Feigheit und an den quälenden Schuldgefühlen, die sich daraufhin bei ihm einstellten. Doch dann drehte der Feind unerwartet den Spieß um. Der Schleimbeutel wurde Christ, und damit war er für mich verloren.

Ich habe erlebt, wie sich Christen in Hungersnöten aufmachten und Essen mitsamt der Verbotenen Botschaft austeilten. Bei Naturkatastrophen habe ich erlebt, wie ichsüchtige Menschen sich zusammenschlossen, um anderen zu helfen, wie Nachbarn, die sich nicht einmal dem Namen nach kannten, ihre Türen öffneten und ihr Hab und Gut mit anderen teilten.

Einer meiner Schädlinge habe ich auf dem Weg des Verderbens geführt: Der Mann kam für zehn Jahre ins Gefängnis. Ich dachte, ich könnte mich jetzt entspannt zurücklehnen, aber nein – ihm wurde bewusst, dass er mit seinen eigenen Mitteln am Ende war, und er übergab sein Leben dem Zimmermann. Hinter jenen Gittern wurde er Mitglied einer verbotenen Gemeinschaft, die einen Schädling nach dem anderen vom Weg in die Hölle abbrachte. Den ganzen Tag lang las er in dem Verbotenen Buch und verkündete die Verbotene Botschaft. Es war ein Albtraum. Schließlich konnte ich seine Entlassung kaum erwarten.

Während naive Dämonen wie du die Sektkorken knallen lassen, wenn sie von Kriegen, Schreckensnachrichten, Verbrechen und Inhaftierungen hören, nutzt der Feind unsere Leistungen für sich und deutet sie in seinem Sinne um.

Vieles spricht für Scharrschlamms Strategie: Überschüttet das Ungeziefer mit Wohlstand, verflucht es mit einer guten Gesundheit und führt es auf dem mühelosen Weg, der mit Wohlbefinden und Überfluss gepflastert ist, in die Hölle. (…)

Leiden ist kein Selbstzweck. Es ist ein Ausgangsstoff, der entweder von Feind oder von uns genutzt wird. Wenn Wohlbefinden ist beste Methode ist, um einen schlechten Charakter zustande zu bringen, dann tue alles in deiner Macht Stehende, damit Fletcher sich wohlfühlt. Leiden kann zwar den Glauben an den Feind zerstören, doch sogar darin liegt eine Gefahr, denn zerstörter Glaube war von vornherein kein echter Glaube. Ein unechter Glaube, der unversehrt bleibt, ist uns dienlicher. Wenn der Pseudoglaube zerbricht, besteht nämlich die Gefahr, das aus seinen Trümmern echter Glaube wächst.

Halte die Augen auf, Qualob! Die Dinge sind nicht immer so, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Erinnerst du dich daran, wie Haderschlag geprahlt hat, als er ein 17-jähriges Mädchen durch einen Badeunfall an den Rollstuhl gefesselt hatte? Der Feind hat uns endlose Probleme mit ihr bereitet. Wäre sie nicht gelähmt und hätte sie nicht so gelitten, dann sähe es jetzt wahrscheinlich ganz anders aus – und ganz bestimmt wäre sie nicht so eine Nervensäge.

Erinnerst du dich an die fünf Missionare, die in Ecuador umgebracht wurden? Das war ein triumphaler Augenblick für das Reich der Finsternis, aber eben nur ein Augenblick. Jahrzehntelang traten Tausende in die Fußstapfen der Märtyrer, zogen in ferne Länder und weihten ihr Leben dem Feind. Eine der Frauen der Missionare zog zu dem Stamm, lebte dort und brachte die Verbotene Botschaft genau zu dem Ungeziefer, das ihren Mann umgebracht hatte. Der Mörder wurde Christ und dann ein Führer in der Verbotenen Schwadron. Das stinkt mich total an. Was einen Augenblick wie ein Triumph aussah, hat uns seither nie in Ruhe gelassen.

Fletcher hat also dafür gebetet, dass er Christus ähnlicher wird? Dann sorge dafür, dass er betet, der Feind möge ihm all das nehmen, was er ihm gegeben hat, damit er Christus ähnlicher wird. Das Ungeziefer ist enttäuscht, wenn der Feind seine Gebete nicht erhört, und genauso enttäuscht, wenn er sie erhört.

Als Experte in Sachen Feindestaktik grüßt

Graf Moderthal

Randy Alcorn, „Post von Graf Moderthal“, ab S. 191, CLV Verlag