Der Gottlose und der Gerechte
Und die Leute werden sagen:
Der Gerechte empfängt doch seine Frucht; es gibt doch einen Gott, der richtet auf Erden!
Psalm 58,12
Hiob fragte sich in seiner tiefen Not, – da ihm ja aller Segen genommen worden war – ob es denn einen Unterschied macht, wenn man ein rechtschaffenes Leben führt oder gottlos lebt. Geht es dem Gottlosen denn nicht besser, wenn Gott nicht sofort seine Ungerechtigkeit heimsucht? Das ganze Buch Hiob scheint eine Abhandlung dieser Frage zu sein. Tatsächlich ist es eine Frage, die sich Gläubige zu allen Zeiten gestellt haben. Besonders in den Psalmen finden wir sehr viel dazu, und der 73. Psalm behandelt dieses Thema ausführlich. Der Psalmenschreiber Asaph verzweifelt fast daran, dass es dem Gottlosen scheinbar besser geht als dem Gläubigen:
„Ein Psalm Asaphs. Nur gut ist Gott gegen Israel, gegen die, welche reinen Herzens sind. Ich aber — fast wäre ich gestrauchelt mit meinen Füßen, wie leicht hätte ich einen Fehltritt getan! Denn ich beneidete die Übermütigen, als ich das Wohlergehen der Gottlosen sah. Denn sie leiden keine Qual bis zu ihrem Tod, und ihr Leib ist wohlgenährt. Sie leben nicht in der Not der Sterblichen und sind nicht geplagt wie andere Menschen. Darum ist Hochmut ihr Halsschmuck, und Gewalttat ist das Gewand, das sie umhüllt. Ihr Gesicht strotzt von Fett; sie bilden sich sehr viel ein. Sie höhnen und reden boshaft von Bedrückung, hochfahrend reden sie. Sie reden, als käme es vom Himmel; was sie sagen, muss gelten auf Erden. Darum wendet sich auch sein Volk ihnen zu, und es wird von ihnen viel Wasser aufgesogen. Und sie sagen: »Wie sollte Gott es wissen? Hat denn der Höchste Kenntnis davon?« Siehe, das sind die Gottlosen; denen geht es immer gut, und sie werden reich!“
Diese Feststellung, dass Gott scheinbar den Gottlosen segnet, anstatt ihn für seine Sünde zu richten, bringt Asaph fast um den Verstand und er fragt sich, warum er jeden Tag geplagt wird im Gegensatz zu dem Gottlosen, obwohl er doch rechtschaffen vor Gott lebt?
„Ganz umsonst habe ich mein Herz rein erhalten und meine Hände in Unschuld gewaschen; denn ich bin doch den ganzen Tag geplagt worden, und meine Züchtigung war jeden Morgen da! Wenn ich gesagt hätte: »Ich will ebenso reden!« — siehe, so hätte ich treulos gehandelt am Geschlecht deiner Söhne. So sann ich denn nach, um dies zu verstehen; aber es war vergebliche Mühe in meinen Augen — bis ich in das Heiligtum Gottes ging und auf ihr Ende achtgab.“
Hier im Heiligtum, in Gottes Nähe also, erkennt er in Gottes Licht, wie die Dinge wirklich stehen. Er kann plötzlich die Situation geistlich beurteilen, also mit den Augen Gottes darauf sehen, sie verstehen, sie annehmen und Gott darüber preisen:
„Fürwahr, du stellst sie auf schlüpfrigen Boden; du lässt sie fallen, dass sie in Trümmer sinken. Wie sind sie so plötzlich verwüstet worden! Sie sind untergegangen und haben ein Ende mit Schrecken genommen. Wie man einen Traum nach dem Erwachen verschmäht, so wirst du, o Herr, wenn du dich aufmachst, ihr Bild verschmähen. Als mein Herz verbittert war und ich in meinen Nieren das Stechen fühlte, da war ich töricht und verstand nichts; ich verhielt mich wie ein Vieh gegen dich. Und dennoch bleibe ich stets bei dir; du hältst mich bei meiner rechten Hand. Du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich danach in Herrlichkeit auf! Wen habe ich im Himmel [außer dir]? Und neben dir begehre ich nichts auf Erden! Wenn mir auch Leib und Seele vergehen, so bleibt doch Gott ewiglich meines Herzens Fels und mein Teil. Denn siehe, die fern von dir sind, gehen ins Verderben; du vertilgst alle, die dir hurerisch die Treue brechen. Mir aber ist die Nähe Gottes köstlich; ich habe GOTT, den Herrn, zu meiner Zuflucht gemacht, um alle deine Werke zu verkünden.“
Was für eine Erkenntnis! Der Schlüssel liegt also in ihrem Ende. Hiob selbst aber bekommt keine direkte Antwort auf seine Frage. Mehrere Male jedoch gibt Gott später seinem Volk Antworten auf diese Frage, hier eine aus Maleachi:
Ihr habt gesagt: »Es ist umsonst, dass man Gott dient, und was nützt es uns,
seine Ordnung zu halten und vor dem HERRN der Heerscharen in Trauer einherzugehen?
Und nun preisen wir die Übermütigen glücklich; denn die, welche Gesetzlosigkeit verüben, stehen aufrecht,
und die, welche Gott versucht haben, kommen davon!«
Da besprachen sich die miteinander, welche den HERRN fürchteten, und der HERR achtete darauf und hörte es,
und ein Gedenkbuch wurde vor ihm geschrieben für die, welche den HERRN fürchten und seinen Namen hoch achten.
»Und sie werden von mir,« spricht der HERR der Heerscharen,
»als mein auserwähltes Eigentum behandelt werden an dem Tag, den ich bereite;
und ich will sie verschonen, wie ein Mann seinen Sohn verschont, der ihm dient.
Dann werdet ihr wieder sehen, was für ein Unterschied besteht zwischen dem Gerechten und dem Gesetzlosen,
zwischen dem, der Gott dient, und dem, der ihm nicht dient.
Denn siehe, der Tag kommt, brennend wie ein Ofen! Da werden alle Übermütigen und alle, die gesetzlos handeln,
wie Stoppeln sein, und der kommende Tag wird sie verbrennen,« spricht der HERR der Heerscharen,
»sodass ihnen weder Wurzel noch Zweig übrig bleibt.
Euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen,
und Heilung [wird] unter ihren Flügeln [sein];
und ihr werdet herauskommen und hüpfen wie Kälber aus dem Stall!«
Maleachi 3,14-20
In schweren Stunden vergleichen wir uns oft mit den Gottlosen, denen es scheinbar viel besser ergeht und keine Strafe Gottes erfahren, und vergessen die viel größere Anzahl der Gottlosen, die Gott sehr wohl bereits hier auf der Erde straft. Aber eigentlich sollten wir überhaupt nicht eifersüchtig auf ihr scheinbares Wohlergehen sehen, denn wir haben überhaupt keinen Grund dazu. In Christus haben wir die Fülle Gottes! Die Fülle Gottes – das bedeutet, dass es gar keinen Mangel gibt! In Christus ist uns alles geschenkt! Wenn wir eifersüchtig auf ihr sorgloses Leben schauen, sagen wir damit aus, dass dieses mehr wert ist, als alles, was wir in Christus geschenkt bekommen haben. Ist es Christus nicht wert, dass wir auf dem Weg zu ihm Schwierigkeiten auf uns nehmen? Wer die schöne Aussicht auf einem Berg genießen will, muss diesen erst mit viel Mühe und Schmerzen besteigen.
Es stimmt, der Gerechte muss durch viel Leiden in das Reich Gottes eingehen (Apostelgeschichte 14,22). Das wollen wir oft nicht wahrhaben. Wir verbinden mit der Liebe und dem Segen Gottes keine Leiden, obwohl sie Züchtigungen eines liebenden Vaters sind und ein Beweis seiner Annahme (s. Hebräer 12,5-11).
Aber lass uns auf die Gerechten schauen, die vor uns gewesen sind, und auf ihr Ende:
„Da wir nun eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, so lasst uns jede Last ablegen und die Sünde, die uns so leicht umstrickt, und lasst uns mit Ausdauer laufen in dem Kampf, der vor uns liegt, indem wir hinschauen auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens, der um der vor ihm liegenden Freude willen das Kreuz erduldete und dabei die Schande für nichts achtete, und der sich zur Rechten des Thrones Gottes gesetzt hat.“ (Hebräer 12,1-2)
„Meine Brüder, nehmt auch die Propheten, die im Namen des Herrn geredet haben, zum Vorbild des Leidens und der Geduld. Siehe, wir preisen die glückselig, welche standhaft ausharren! Von Hiobs standhaftem Ausharren habt ihr gehört, und ihr habt das Ende gesehen, das der Herr [für ihn] bereitet hat; denn der Herr ist voll Mitleid und Erbarmen.“ (Jakobus 5,10-11)
Ja, Hiobs Ende war wunderbar! Das war Gottes indirekte Antwort auf die Frage Hiobs, ob es einen Unterschied zwischen dem Gottlosen und dem Gerechten gibt.
Wir kennen das Sprichwort: „Nicht der Anfang, sondern das Ende krönt!“ Genau das hat Hiob erfahren, das hat auch Asaph als Antwort erhalten und Gott selbst lies es seinem Volk auf ewig in Maleachi niederschreiben. Auch in den letzten Worten der Bibel finden wir nochmals den Unterschied am Ende der Tage aufgezeigt:
Wer Unrecht tut, der tue weiter Unrecht, und wer unrein ist, der verunreinige sich weiter,
und der Gerechte übe weiter Gerechtigkeit, und der Heilige heilige sich weiter!
Und siehe, ich komme bald und mein Lohn mit mir, um einem jeden so zu vergelten, wie sein Werk sein wird.
Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, der Erste und der Letzte.
Glückselig sind, die seine Gebote tun, damit sie Anrecht haben an dem Baum des Lebens
und durch die Tore in die Stadt eingehen können.
Draußen aber sind die Hunde und die Zauberer und die Unzüchtigen und die Mörder und die Götzendiener
und jeder, der die Lüge liebt und tut.
Offenbarung 22,11-15
Bedenken Sie ernsthaft, dass es unsere Pflicht und Ehre ist, Züchtigungen nicht nur nach ihrem Schmerz
sondern nach ihren Ende abzuwägen.
Als die Israeliten aus Ägypten entlassen wurden, hatten sie silberne und goldene Geräte (s. 2. Mose 11,2); so erhielten die Juden auch Geschenke, Juwelen und alle notwendigen Geräte (s. Esra 1,7-11), als sie Babylon entließ. Sehen Sie mehr auf das letzte Ende eines Christen als auf den Beginn seiner Züchtigung.
Beachten Sie das Ausharren des Hiob und welches Ende der Herr ihm bereitete. Sehen Sie nicht auf Lazarus, wo er vor dem Tor des Reichen, sondern im Schoße Abrahams liegt.
Betrachten Sie nicht den Anfang Josefs, der so weit von seinem Traum, wo Sonne und Mond sich vor ihm niederbeugten, entfernt war, denn zwei Jahre lang verbrachte er an einem Ort, an dem er weder die Sonne noch den Mond und Sterne sehen konnte; doch schauen Sie auf ihn, als er schließlich Machthaber über Ägypten war.
Achten Sie auch nicht auf David, wo nur ein Schritt zwischen ihm und dem Tod war, oder wo einige ihn beneideten und andere ihn beleidigten und verachteten; sehen Sie auf ihn, wo er auf seinem königlichen Thron sitzt und in seinem Bett der Ehre stirbt, sehen Sie auf seinen Sohn Salomo und all die glänzende Pracht, die ihn umgab.
Züchtigungen sind nichts anderes als ein dunkler Eingang zum Haus ihres Vaters; eine schmutzige Spur zu einem königlichen Palast. Nun, sagt mir, Seelen, ob es nicht doch von großem Wahnsinn zeugt, die Wege der Heiligkeit zu meiden und Pfade der Gottlosigkeit zu wählen, und zwar wegen der Züchtigungen, welche euch auf dem Weg der Heiligkeit begleiten.
Thomas Brooks
„Wirksame Maßnahmen gegen Satans Hinterlist“, S. 76, 3L Verlag