Die richtigen Worte zur rechten Zeit

Manchmal fehlen uns angesichts von schwerem Leid die richtigen Worte.
Von Elihu, einem Freund Hiobs, können wir lernen.

Laura Story erlebte Folgendes in der Zeit im Krankenhaus, während ihr Mann notfallmäßig einer weiteren Gehirnoperation unterzogen werden musste:

„Ich stolperte in den Warteraum zurück und versuchte, alles zu verarbeiten. Es fiel mir schwer, darüber nachzudenken, was ich jetzt tun sollte, und noch schwerer fiel es mir, zu beten. Alles, was ich tun konnte, war, zu warten.
Familienmitglieder und Freunde waren ins Krankenhaus gekommen, um Martin zu sehen und ihre Unterstützung anzubieten. (…) Ihre Anwesenheit bedeutete mir mehr als alles, was sie sagten. Einige versuchten mir Worte des Trostes zuzusprechen. »Ich weiß, das ist eine harte Zeit für dich«, sagten sie, aber dann schienen zu vergessen, dass es wirklich eine harte Zeit für mich war. (…)

Mehrere wohlmeinende Menschen kamen und fragten mich: »Wie geht es dir?«
»Ich bin okay«, antwortete ich. 
Dann senkten sie die Stimme und sagten: »Nein, wirklich, wie geht es dir?«
»Ich bin okay«, wiederholte ich fest. Es spielte keine Rolle, wie es mir ging; das änderte nichts an Martins Zustand. Abgesehen davon wusste ich nicht einmal, wie ich mich wirklich fühlte; ich tat einfach, was ich tun musste. An den meisten Tagen war ich müde und verängstigt, aber ich fand keine Worte, um darüber zu reden. (…) 

An manchen Tagen fühlte ich mich wie die Hostess auf einer Party. Ich stellte alle Besucher einander vor und besorgte Stühle für die, die gerade angekommen waren. Es war eine Party, die ich nicht besuchen, geschweige denn selbst geben wollte. Verstanden sie denn nicht, dass ich, obwohl ich für ihren Besuch und für jedes ihrer Gebete dankbar war, nicht in der Lage war, sie zu unterhalten? Die meisten von ihnen wussten nicht, was sie in einer Situation wie der unseren tun oder sagen sollten. Und ich wusste es auch nicht.

Die Menschen brachten mir Blumen und Kartons mit fettigem chinesischem Essen, aber das Beste, was sie mir schenkten, war ihre Gegenwart. Während des Wartens, das sich am Ende über zwei Tage und Nächte erstreckte, waren meine liebsten Besucher diejenigen, die mir die magischen Worte sagten. Nicht: »Ich liebe dich«, oder »Ich bete«, sondern: »Hier ist dein Latte Macchiato.« Wenn ich diese Worte hörte, musste ich jedes Mal lächeln, weil die Menschen, die mir Latte brachten, nicht versuchten, mir Antworten zu geben. Sie gaben mir nur Kaffee. Sie saßen bei mir, weinten mit mir und sagten nie ein Wort. Sie waren es, die meinen leeren Energietank wieder füllten.“ (a)

Wie goldene Äpfel in silbernen Schalen, so ist ein Wort, gesprochen zur rechten Zeit.

» Sprüche 25,11

Was Laura Story erlebt hat, können viele nachvollziehen, – wenn nicht aus Lauras‘ Sicht, dann doch aus der Sicht der Besucher. Wie oft fehlt einem die Weisheit und das Einfühlvermögen um solchen Menschen in Not beizustehen. Wäre es nicht wunderbar, wenn es einen 10-Punkte-Leitfaden für solche Situationen geben würde? Den hätte ich schon öfters gebraucht…!
Aber die Bedürfnisse der Notleidenden sind unterschiedlich. Der eine mag in dem Stadium sein, in dem er nur die stille mitfühlende Gegenwart eines Freundes braucht, ein anderer ist empfänglich für Trost oder braucht auch Ablenkung um nicht in einer Depression zu versinken. Wieder ein anderer mag schon soweit sein, dass er seine Not in Worte fassen kann und nur einen verständnisvollen Zuhörer braucht und wieder ein anderer benötigt vielleicht dringend jemand, der ihn an der Hand fasst und vor Gott selbst stellt.

*****

Hiob hat all diese Stadien durchgemacht. Anfangs schwieg er und seine Freunde waren so weise, dass sie die Stille nicht brachen und einfach nur mit ihm trauerten. Sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war und hatten genug Mitgefühl um mit ihm gemeinsam zu schweigen. Bis Hiob selbst das Schweigen brach. 
Vielleicht hatte er sich wie David vorgenommen: „Ich habe gesagt: Ich will auf meine Wege achten, dass ich nicht sündige mit meiner Zunge; ich will meinen Mund im Zaum halten, solange der Gottlose vor mir ist. Ich war gänzlich verstummt, schwieg auch vom Guten, aber mein Schmerz fraß in mir. Mein Herz entbrannte in mir, durch mein Nachsinnen wurde ein Feuer entzündet, da redete ich mit meiner Zunge.“ (Psalm 39,2-4)

C.H. Spurgeon wusste dazu folgendes zu sagen: 
„Davids Gedanken rieben sich gleichsam aneinander und erzeugten so einen heftigen Brand. Die Tür seines Herzens war verriegelt und da solch ein Feuer des Unmuts und Grams darin brannte, wurde die Hitze in dieser verschlossenen Kammer seiner Seele bald unerträglich. Stillschweigen ist für Leidende eine solche Pein, dass es unfehlbar zum Wahnsinn führt, wenn es nicht gebrochen wird. Drum, bekümmerte Seele, schütte dein Herzeleid aus! Tue das zuerst und gründlich vor Gott; dann magst du auch einen weisen, gottesfürchtigen Freund deinen Kummer klagen, es wird gesegnet sein!“

So erging es wahrscheinlich auch Hiob. Nach einer Woche Schweigen musste es dann einfach heraus. Er sagte: „Darum will auch ich meinen Mund nicht zurückhalten; ich will reden in der Bedrängnis meines Geistes, in der Verbitterung meiner Seele will ich klagen.“ (Hiob 7,11) Und Hiob hoffte nun aus gutem Grund auf Mitleid und Trost von seinen Freunden.

Dem Verzagten gebührt Mitleid von seinem Freund, sonst wird er die Furcht des Allmächtigen verlassen.
Meine Brüder haben sich trügerisch erwiesen wie ein Wildbach, wie das Bett der Wildbäche, die vergehen…

» Hiob 6,14-15

Doch seine Freunde erwiesen sich als Wildbäche, die bei Hitze schnell vergehen, und wer auf Erfrischung gehofft hatte, wird enttäuscht! (Hiob 6,15-21) Statt ihn zu trösten, wiesen sie ihn zurecht, ergingen sich in ihrer Theologie, spickten ihre Reden mit schmerzhaften zweideutigen Bildern und bezichtigten ihn schwerer verborgener Sünden. Nur einer stimmte nicht in das Streitgespräch mit ein. 

Ich stelle mir vor…, wie sich die Freunde da teils zornig, teils betroffen und dreckig gegenüber in der Asche saßen und mit resigniertem Blick vor sich auf den Boden starrten. Die letzten Worte Hiobs klangen allen noch in den Ohren nach. Alles war gesagt worden, und der Abstand zwischen den Freunden war gefühlsmäßig unüberbrückbar geworden. Der imaginäre Knoten zwischen ihnen konnte nicht gelöst werden, sondern ist mit jeder Rede und jedem Seitenhieb immer fester geworden. Wie die verfinsterten Minen der Männer, so verfinsterte sich langsam und unbemerkt in der Ferne der Himmel.
Plötzlich erhebt sich Elihu, der die ganze Zeit über unauffällig das Gespräch verfolgt hatte und ergreift nun das Wort. Langsam und behutsam nimmt er Faden für Faden auf und beginnt den Knoten zu lösen. Seine Worte dringen in die geistig abwesende, entmutigte Gruppe vor ihm und langsam hebt einer nach dem Anderen seinen Blick. Ja, der eine nickt verstehend, dem anderen steht Reue im Gesicht geschrieben.
Währenddessen braut sich hinter dem Redner ein mächtiges Gewitter zusammen, welches als lebendiges Bild für seine Erörterung dienen darf. Gott selbst nimmt in der Folge diesen Faden auf und begegnet so erst Hiob und dann auch seinen Freunden.

*****

Elihu, der jüngste von allen, hatte mit Ehrerbietung zugehört und ergriff erst das Wort, als den Freunden und auch Hiob die Worte ausgegangen waren. Dabei erwies er solch eine Weisheit, dass Hiob endlich bereit war, Gott zu begegnen und er seine Sünde, – die Worte während der Auseinandersetzung, die Gott nicht ehrten, bereute und bekannte. Sogar die Freunde sahen ihre Torheit am Ende ein.

Deswegen lohnt sich ein genauer Blick auf die Art und Weise, wie Elihu es schaffte Hiob und seinen Freunden zu helfen.

Was wir von Elihu lernen können

Elihu redete so ganz anders mit Hiob, als es die drei Freunde taten. Bei genauerer Betrachtung seiner Reden können wir viel daraus lernen, wie wir mit Leidenden im Gespräch umgehen sollten und wie wir ihnen helfen können. Hier sind einige Merkmale, die Elihu zu einem weisen Seelsorger machen, und die ich mir selbst unbedingt zu Herzen nehmen möchte:

  • Er hörte aufmerksam bis zum Ende zu und unterbrach nicht. Er konnte sich die ganze Zeit zurückhalten, obwohl ihm seine Worte auf der Zunge brannten.
  • Er war offen für die Argumente der anderen, achtete sie und erwartete, dass die Freunde Hiob mit der rechten, weisen Antwort Trost spenden würden.
  • Er hörte sehr genau zu, sodass er imstande war Hiob zu zitieren.
  • Erst nachdem das Streitgespräch zu Ende war und auch Hiob die Worte ausgegangen waren, bildete er sich darüber eine Meinung.
  • Er nannte als einziger Hiob beim Namen, was seine Wertschätzung ausdrückt.
  • Er beurteilte nur das, was Hiob in seiner Gegenwart gesagt hatte und unterstellt ihm keine geheimen Sünden. Er verschwendete keinen Gedanken an Dinge, die er nicht wissen konnte.
  • Er fühlte sich durch Hiobs Reden nicht persönlich angegriffen, weil er wusste, dass es Worte, ja ein Hilferuf eines Verzweifelnden waren.
  • Er schmeichelte nicht. Auch wenn er Mitgefühl hatte, blieb er doch bei der Wahrheit.
  • Er redete klar und gut verständlich ohne versteckte Motive und Andeutungen.
  • Er wusste sich ganz klar von Gott abhängig und stellte sich mit Hiob auf die gleiche Stufe. Er war wie Hiob auch nur Ton in der Hand des Schöpfers.
  • Er war bei aller Strenge doch sehr mitfühlend, und doch bei allem Mitgefühl unnachgiebig darin Gottes Ehre zu verteidigen.
  • Er forderte alle auf, das Gute zu erwählen und seine Worte zu prüfen.
  • Er wollte Hiob vor Gott stellen, damit er ihn belehren würde, denn er wusste, nur Gott kann Hiob wirklich lehren.
  • Er selbst zitterte vor Gott. Seine Gottesfurcht und Demut befähigten ihn anderen zu helfen.
  • Er ermahnte Hiob da, wo es wirklich nötig war.

Siehe, Gott handelt erhaben in seiner Macht; wer ist ein Lehrer wie er?

» Hiob 36,22

Meinst du nicht auch, dass das sehr hilfreiche Ansätze oder auch Grundsätze sind um Jemandem in tiefer Not zu begegnen? Das lehrt uns, dass es nicht einfach nur die richtigen Worte zur rechten Zeit braucht, sondern dass die richtigen Worte aus einem echten Herzen hervorgehen, welches zuerst Gott fürchtet und dann auch den Menschen in aller Sanftmut begegnen kann.
Ich wünsche mir sehr, dass Gott mich diese Dinge im Umgang mit anderen Leidenden lehrt. Damit er dadurch verherrlicht und wir dadurch erbaut werden.

(a) Laura Story, Selbst wenn du mich vergisst – Mein Eheglück mit einem Mann ohne Kurzzeitgedächtnis, ab S. 68, SCM Verlag
Die Liste habe ich aus der Auslegung zu Hiob von Benedikt Peters zusammengetragen.