Ein Ausschnitt aus der Auslegung von C.H. Mackintosh zu 1. Mose 15

Unser Kapitel stellt uns noch einen anderen wichtigen Gegenstand vor Augen, nämlich das Erbrecht. Nachdem die Frage der Sohnschaft und der Gerechtigkeit göttlich geordnet war, sprach Gott zu Abraham: „Ich bin der HERR, der dich herausgeführt hat aus Ur in Chaldäa, um dir dieses Land zum Besitz zu geben.“ (1. Mose 15,7). Hier wird die wichtige Erbschaftsfrage behandelt und der Weg beschrieben, den die erwählten Erben zu gehen haben, bevor sie das verheißene Erbe erreichen. 

„Wenn aber Kinder, so auch Erben – Erben Gottes und Miterben Christi, wenn wir nämlich mitleiden, damit wir auch mitverherrlicht werden.“ (Römer 8,77)

Unser Weg zum Reich führt durch Leiden, Kummer und Trübsal, aber durch den Glauben können wir sagen, dass „die Leiden der Jetztzeit nicht wert sind, verglichen zu werden mit der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll“ (Römer 8,18). Wir wissen ferner, dass „das schnell vorübergehende Leichte unserer Trübsal uns ein über jedes Maß hinausgehendes, ewiges Gewicht von Herrlichkeit bewirkt“ (2. Korinther 4,17), und endlich, „rühmen wir uns auch der Trübsale, da wir wissen, dass Trübsal Ausharren bewirkt, das Ausharren aber Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung“ (Römer 5,3-4).

Es ist eine hohe Ehre und ein Vorrecht für uns, wenn es uns erlaubt wird, aus dem Kelch unseres Herrn zu trinken, mit seiner Taufe getauft zu werden und in seiner Gemeinschaft den Weg zu gehen, der zu unserem Erbteil führt. Der Erbe wie die Miterben erreichen dieses Erbteil auf dem Weg des Leidens.

Erinnern wir uns jedoch, dass die Leiden, an denen die Miterben teilhaben, nichts mit Strafe zu tun haben. Es ist kein Leiden wegen der Sünde unter der Hand der göttlichen Gerechtigkeit, denn dieses Leiden hat Christus, das Schlachtopfer Gottes, am Kreuz vollkommen erduldet, als Gottes Gerechtigkeit ihn schlug. „Denn es hat ja Christus einmal für Sünden gelitten“ (1. Petrus 3,18), und dieses einmal geschah am Kreuz und sonst nirgends. Nie hat er vorher für Sünden gelitten, und nie wird er von neuem für Sünden leiden können. „Jetzt aber ist er einmal in der Vollendung der Zeitalter offenbart worden zur Abschaffung der Sünde durch sein Opfer. …Christus ist einmal geopfert worden.“ (Hebräer 9,26.28)

Es gibt zwei Gesichtspunkte, unter denen wir den leidenden Christus betrachten können: Zunächst als von Gott geschlagen, und dann als von den Menschen verworfen. In dem ersten Leiden stand er ganz allein, in dem Zweiten haben wir das Vorrecht, mit ihm vereint zu sein. In dem ersten Leiden musste er ganz allein sein, denn wer hätte ihm zur Seite stehen können? Er trug allein den Zorn Gottes. Einsam stieg er hinab in den „immer fließenden Bach, in dem nicht gearbeitet und nicht gesät wird“ (5. Mose 21,4), und dort ordnete er für immer die Frage unserer Sünden. 

An diesen Leiden Christi hatten wir keinen Teil, obwohl wir ihnen alles verdanken. Ganz allein hat er gekämpft und gesiegt, aber er teilte die Beute mit uns. Er war allein „in der Grube des Verderbens, in kotigem Schlamm“ (Psalm 40,3). Sobald er aber seinen Fuß auf den ewigen Fels der Auferstehung stellte, vereinigte er uns mit sich. Er war allein, als er am Kreuz den lauten Schrei ausstieß, aber er hat Gefährten, wenn er das neue Lied singt.

Nun ergibt sich die Frage:
Wollen wir uns weigern mit ihm zu leiden vonseiten der Menschen, nachdem er für uns vonseiten Gottes gelitten hat? 

Dass es in gewissem Sinn eine Frage ist, geht daraus hervor, dass der Heilige Geist im Zusammenhang beständig das Wörtchen wenn gebraucht. „Wenn wir anders mitleiden“ (Römer 8,17); „Wenn wir ausharren, so werden wir auch mit herrschen“ (2. Timotheus 2,12). Es gibt kein wenn bezüglich der Kindschaft. Wir erlangen nicht durch Leiden die hohe Stellung von Söhnen, sondern durch die lebendig machende Kraft des Heiligen Geistes, gegründet auf das vollbrachte Werk Christi, gemäß dem ewigen Ratschluss Gottes. Diese Stellung ist unantastbar. Aber solche die der Familie Gottes angehören, die sich als Kinder bereits im Haus befinden, sind wir berufen zu leiden.

Unser Weg zum Reich führt allerdings durch Leiden, und das Maß dieses Leidens entspricht unserer Hingabe für den König und unserer Gleichförmigkeit mit ihm. Je mehr wir ihm ähnlich sind, desto mehr werden wir mit ihm leiden, und je tiefer unsere Gemeinschaft mit ihm ist im Leiden, desto tiefer wird sie auch mit ihm sein in der Herrlichkeit. …

Wir sollten jedoch stets daran denken, dass unser Leiden mit Christus nicht ein knechtisches Joch ist, sondern ein Vorrecht; nicht ein eisernes Gesetz, sondern eine Gabe der Gnade; nicht ein gezwungener Dienst, sondern eine freiwillige Hingabe. 

Denn euch ist es im Bezug auf Christus geschenkt worden, nicht allein an ihn zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden“ (Philipper 1,29)

Ferner unterliegt es wohl keinem Zweifel, dass das wahre Geheimnis des Leidens für Christus darin besteht, dass die Zuneigungen unserer Herzen in ihm ihren Mittelpunkt finden. Je mehr ich Jesus liebe, in desto engerer Beziehung mit ihm werde ich meinen Weg gehen, je näher ich mit ihm verbunden bin, umso treuer werde ich ihn nachahmen, und je treuer ich ihn nachahme, so viel mehr werde ich mit ihm leiden.

So hat alles seine Ursache in der Liebe zu Christus, und es ist eine Grundwahrheit, dass wir ihn lieben, weil er uns zuerst geliebt hat. Hüten wir uns in diesem wie in jedem anderen Punkt vor einem gesetzlichen Geist, denn wir dürfen nicht meinen, dass jemand für Christus leidet, der unter dem Joch der Gesetzlichkeit steht. Es ist vielmehr zu befürchten, dass solch einer weder Christus noch die gesegnete Stellung der Kindschaft kennt, dass er nicht in der Gnade befestigt ist, sondern eher versucht, durch Gesetzeswerke in die Familie einzutreten, als auf dem Weg des Leidens das Reich zu erreichen.

Hüten wir uns aber auch andererseits, dass wir nicht vor dem Kelch und der Taufe unseres Herrn zurückweichen. Wir können uns nicht der Segnungen rühmen, die sein Kreuz uns sichert, während wir uns weigern, an der Verwerfung teilzunehmen, die dieses Kreuz in sich schließt! Wir dürfen überzeugt sein, dass auf dem Weg zum Reich nicht die Gunst und das Glück dieser Welt zu finden sind. Wenn ein Christ in der Welt vorwärts kommt, so hat er große Ursache zu fürchten, dass er seinen Weg nicht in Gemeinschaft mit Christus geht. „Wenn mir jemand dient, so folge er mir nach; und wo ich bin, da wird auch mein Diener sein!“ (Johannes 12,26). Was war das Ziel der irdischen Laufbahn Christi? Strebte er nach Einfluss und nach einer hohen Stellung in dieser Welt? Nein. Er fand seinen Platz auf dem Kreuz zwischen zwei verurteilten Verbrechern.

„Aber,“ wird man sagen, „Gott hatte seine Hand darin.“ Allerdings, aber auch des Menschen Hand war im Spiel. Und diese Wahrheit zieht unvermeidlich unsere Verwerfung seitens der Welt nach sich, wenn wir nur in Gemeinschaft mit Christus sind. Unsere Vereinigung mit Christus, die uns den Himmel öffnet, wirft uns aus dieser Welt hinaus, und wenn wir von dem Ersten reden, ohne etwas von dem Zweiten zu erfahren, beweist dies nur, dass bei uns etwas nicht in Ordnung ist.

Wenn Christus heute auf der Erde wäre, wo würde sein Weg sein, und wo würde er enden? Würden wir gerne mit ihm gehen? Gott schenke uns Gnade, diese Frage im Licht seines Wortes  zu beantworten, das schärfer ist als jedes zweischneidige Schwert, und möge der Heilige Geist uns treu machen für unseren gekreuzigten und verworfenen Herrn!

Wer im Geist lebt, wird von Christus erfüllt sein, und sich nicht mit den Leiden, sondern mit dem beschäftigen, für den er leidet. Wenn das Auge auf Christus ruht, wird das Leiden unbedeutend erscheinen im Vergleich mit der gegenwärtigen Freude und der zukünftigen Herrlichkeit.

 

Zitat aus der Auslegung „Die 5 Bücher Mose“ von C.H. Mackintosh zu 1. Mose 15, CSV Verlag