Hiobs Gerechtigkeit

Gott bezeichnet Hiob am Anfang des Buches gleich dreimal als vollkommen, im Sinne von tadellos lebend nach seinem guten Gewissen. Er hatte einen tiefen Glauben an Gott, aus dem seine Gottesfurcht und Rechtschaffenheit resultierte. Aber Hiob war genauso sündig, wie jeder andere Mensch auch. Wir lesen in Römer 4,15:

„…denn wo kein Gesetz ist, da ist auch keine Übertretung.“ Und in Römer 5,12-13: Darum, gleichwie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod, und so der Tod zu allen Menschen hingelangt ist, weil sie alle gesündigt haben, – denn schon vor dem Gesetz war die Sünde in der Welt; wo aber kein Gesetz ist, da wird die Sünde nicht in Rechnung gestellt.“

Das bedeutet, dass seit dem Sündenfall jeder Mensch (in Adam) gesündigt hat.* Da es aber bis Mose noch kein Gesetz gab, wurde die persönliche Sünde nicht dem Gesetz entsprechend verurteilt, sondern die Menschen hatten nur den Maßstab ihres eigenen Gewissens. Durch die Erbsünde jedoch waren alle Menschen verurteilt, was wir daran sehen können, dass jeder Mensch sterben muss (s.o.), auch Hiob.

Nach dem Maßstab des Gewissens war Hiob also vollkommen oder tadellos, mehr als alle anderen Menschen. Er war dem heiligen Gott noch nicht persönlich begegnet und war sich deswegen seiner eigenen Verdorbenheit nicht wirklich bewusst. Seine Rechtschaffenheit vor Menschen wurde von Gott reich gesegnet, wodurch er sich darin bestätigt und bestärkt fühlte. Aber Gott liebte Hiob und wollte ihm etwas viel größeres schenken, und zwar eine persönliche Beziehung mit ihm, gegründet auf dem einzigen möglichen Fundament: Gottes Gnade – und nicht auf Hiobs Werken. Dafür musste Hiob aber erst vorbereitet werden, indem er seine eigene Sündhaftigkeit erkennen sollte. Denn nur dem Demütigen schenkt Gott Gnade.

Hiobs Ungerechtigkeit

Heute haben wir das Gesetz, und die ganze Bibel, die uns unsere eigene Verdorbenheit klar vor Augen stellt. Hiob jedoch lebte, bevor Gott seinen Willen im Gesetz von Mose niederschreiben ließ und kannte Gott nur vom Hörensagen. Sem, der Sohn Noahs und Zeuge der Sintflut, lebte wahrscheinlich noch zu dieser Zeit und konnte sicher viel erzählen und berichten. Vielleicht kannte er aus der Überlieferung noch Predigten von Henoch. Zumindest kannte Hiob Gott nur durch die Berichte der Vorväter. Er glaubte ihnen, er glaubte Gott, richtete sich nach seinem guten Gewissen und streckte sich nach allem aus, was gut und tugendhaft war. Den Segen, den Hiob dafür erhielt, bewertete er insgeheim als den erarbeiteten Lohn für seine Mühen.

Doch das war eine Täuschung. Wie Elihu ihm am Ende sagt, ist uns Gott gar nichts schuldig, egal wie rechtschaffen wir auch leben mögen, denn unsere Schuld vor Gott wiegt viel schwerer als unsere „guten“ Taten. Jeder Atemzug und was darüber hinaus geht, sind Gnadenerweise Gottes an uns Menschen. So lesen wir in Apostelgeschichte 17,24-15:

Der Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde ist, wohnt nicht in Tempeln, die von Händen gemacht sind; er lässt sich auch nicht von Menschenhänden bedienen, als ob er etwas benötigen würde, da er doch selbst allen Leben und Odem und alles gibt.“

Jetzt aber ist außerhalb des Gesetzes die Gerechtigkeit Gottes offenbar gemacht worden,
 nämlich die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Jesus Christus,
die zu allen und auf alle [kommt], die glauben.
Denn es ist kein Unterschied;
 denn alle haben gesündigt und verfehlen die Herrlichkeit,
die sie vor Gott haben sollten,
 sodass sie ohne Verdienst gerechtfertigt werden
durch seine Gnade aufgrund der Erlösung, die in Christus Jesus ist.

Römer 3,21-24

Wie also kann Gott Hiob zu dieser Erkenntnis heranführen und ihm die Augen öffnen für seine eigene Verdorbenheit?

Nehmen wir das Beispiel einer Zitrone. Von außen wirkt sie gesund und frisch. Wenn man sie zerdrückt, fließt der saure Saft heraus. Von außen sieht man das einer Zitrone gar nicht an. Aber umso mehr man Druck auf sie ausübt, umso mehr Säure fließt heraus. Und dabei sollten wir nicht vergessen, dass der Saft nicht erst zur Säure wurde, als die Zitrone ausgepresst wurde, sondern er war bereits vorher in ihr enthalten. So ähnlich macht es Gott auch mit uns Menschen, um unser Inneres zu offenbaren.

Gott musste also den Druck auf Hiob so stark erhöhen, damit er erkennen würde, was in seinem Herzen wirklich war.

Hier kannst du zu diesem Thema weiterlesen: Erinnere Dich

Und du sollst an den ganzen Weg gedenken, durch den der HERR, dein Gott, dich geführt hat diese 40 Jahre lang in der Wüste, um dich zu demütigen, um dich zu prüfen, damit offenbar würde, was in deinem Herzen ist, ob du seine Gebote halten würdest oder nicht. Und er demütigte dich … um dich erkennen zu lassen, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern dass er von all dem lebt, was aus dem Mund des HERRN hervorgeht. … So erkenne nun in deinem Herzen, dass der HERR, dein Gott, dich erzieht, wie ein Mann seinen Sohn erzieht.

Und wenn du gegessen hast und satt geworden bist, dann sollst du den HERRN, deinen Gott, loben für das gute Land, das er dir gegeben hat. Hüte dich, dass du den HERRN, deinen Gott, nicht vergisst, … wenn du isst und satt wirst und schöne Häuser erbaust und darin wohnst, und deine Rinder und Schafe sich mehren, und dein Silber und Gold sich mehren, und alles, was du hast, sich mehrt, [damit nicht] dann dein Herz sich überhebt und du den HERRN, deinen Gott, vergisst, … um dich zu demütigen und zu prüfen, damit er dir am Ende Gutes tue; und damit du nicht in deinem Herzen sagst: Meine eigene Kraft und die Stärke meiner Hand hat mir diesen Reichtum verschafft! 

So gedenke doch an den HERRN, deinen Gott — denn Er ist es, der dir Kraft gibt, solchen Reichtum zu erwerben …“

Aus 5. Mose 8

Gottes Wirken

Hiobs Stolz und Überheblichkeit Gott gegenüber zeigte sich in diesen Worten: „Ich bin rein, ohne Übertretung; ich bin makellos, und keine Ungerechtigkeit ist an mir. Siehe, er erfindet Feindseligkeiten gegen mich; er hält mich für seinen Feind.“ (Hiob 33,9-10) „Ich bin gerecht, und Gott hat mir mein Recht entzogen. Trotz meines Rechts soll ich lügen; meine Wunde ist unheilbar, ohne dass ich übertreten habe.“ (Hiob 34,5-6) 

Und Gott selbst zeigt ihm seine Sünde auf: „Will der Tadler mit dem Allmächtigen rechten? Der da Gott zurechtweist, antworte darauf! … Willst du etwa mein Recht zunichtemachen, mich verurteilen, damit du gerecht seist?“ (Hiob 40,2.8)

Aber wie groß musste der Druck erstmal werden, bevor wirklich der innere Stolz Hiobs hervorkam? Der Verlust seines Reichtums, der Verlust aller seiner zehn Kinder, die Abkehr seiner Verwandtschaft und sogar seiner eigenen Frau, die Verachtung von jedem, der sein Unglück sah; das war unvorstellbar viel Druck. Aber erst die Beschuldigungen seiner Freunde brachten Hiobs verborgenen Stolz zutage, und erst die Offenbarung Gottes selbst brachte ihn zur Erkenntnis dessen. Bei uns reichen in der Regel schon Banalitäten um unsere Undankbarkeit oder sonstige Sünde zum Vorschein zu bringen. Aber Hiob brauchte diesen immensen Druck. 

Als Gott ihm begegnete, zerbrach Hiobs Selbstgerechtigkeit. Er beugte seine Knie vor dem Allmächtigen, gab ihm die Ehre und bekannte seine eigene Sünde.

R.C. Sproul beschreibt dies so:

Das war eine schwierige Prüfung. Hiob hatte Antworten von Gott verlangt. Stattdessen werden ihm Fragen vorgelegt. Gott weist Hiob zurecht, weil dieser die Weisheit Gottes mit seiner eigenen Ungewissheit verdeckt hatte. … 

„Siehe, ich bin zu gering, was soll ich antworten? Ich will meine Hand auf meinen Mund legen. Einmal habe ich geredet und will nicht mehr antworten, ein zweites Mal habe ich geredet und ich will es nicht wieder tun.“ (Hiob 40,4-5) Beachten wir das Bild, das Hiob gebraucht. Er sagt, er will seine Hand auf seinen Mund legen. Er macht sich selbst mundtot. Er bedeckt seine Lippen mit seiner Hand, damit ihnen nicht noch mehr törichte Worte entschlüpfen können. Er hatte erkannt, dass seine Worte dreist und vermessen gewesen waren. Und deshalb wollte er jetzt lieber schweigen. Aber die Befragung ging weiter. Gott war noch nicht fertig mit seiner Prüfung. Was nun folgte, überwältigte Hiob.

„Willst du mein Urteil zunichte machen und mich schuldig sprechen, dass du recht behältst?“ (Hiob 40,8)

Jetzt sieht er klar. Seine Anklagen sind eine Beleidigung des Heiligen Gottes. Diese Frage Gottes durchbohrt Hiob gewissermaßen: Willst du mich verdammen, damit du selbst gerechtfertigt erscheinst? … Willst du mich verdammen, um dich selbst zu entlasten?

„Ich erkenne, dass du alles vermagst, und nichts, das du dir vorgenommen hast, ist dir zu schwer: »Wer ist der, der den Ratschluss verhüllt mit Worten ohne Verstand?« Darum habe ich unweise geredet, was mir zu hoch ist und ich nicht verstehe. »So höre nun, lass mich reden; ich will dich fragen, lehre mich!« Ich  hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen. Darum spreche ich mich schuldig und tue Buße in Staub und Asche.“ (Hiob 42,2-6)

… Als Hiob erkannte, wer Gott ist, hatte er alles empfangen, was er brauchte. Die Einzelheiten konnte er nun ruhig Gott überlassen. Nachdem Gott ihm nicht mehr ein verborgenes Mysterium war, konnte Hiob getrost mit ein paar ungelösten Fragen leben. Als Gott sich offenbarte, war Hiob so beschäftigt mit Reue und Buße, dass er keine Zeit mehr für weitere Herausforderungen hatte. Seine Anklage war umgeleitet worden auf ihn selbst: „Ich spreche mich schuldig und tue Buße in Staub und Asche.“ (a)

Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin!

Psalm 46,11

Gegen dich, gegen dich allein habe ich gesündigt, und ich habe getan, was böse ist in deinen Augen;
damit du gerechtfertigt wirst, wenn du redest, für rein befunden, wenn du richtest.

Siehe, in Ungerechtigkeit bin ich geboren, und in Sünde hat mich meine Mutter empfangen.
Entsündige mich mit Ysop, und ich werde rein sein; wasche mich, und ich werde weißer sein als der Schnee.
Lass mich Fröhlichkeit und Freude hören, so werden die Gebeine frohlocken, die du zerschlagen hast.
Verbirg dein Angesicht vor meinen Sünden, und tilge alle meine Ungerechtigkeiten!

Schaffe mir, Gott, ein reines Herz, und erneuere in meinem Innern einen festen Geist!
Verwirf mich nicht vor deinem Angesicht, und den Geist deiner Heiligkeit nimm nicht von mir!
Lass mir wiederkehren die Freude deines Heils, und mit einem willigen Geist stütze mich!

Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein zerbrochener Geist;
ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, o Gott, nicht verachten.

Aus Psalm 52

Gottes wunderbares Ende mit Hiob

„Gott ist Licht und gar keine Finsternis ist in ihm.“ (1. Johannes 1,5) Wenn uns Gott in seine Nähe – in sein Licht – ruft, tritt unweigerlich alles an Licht, was uns beschmutzt. Wir erkennen plötzlich, das wir gesündigt haben und das Gott heilig ist. Eine Begegnung mit Gott bringt also alles ans Licht: die Heiligkeit Gottes und die Verdorbenheit des Menschen. Der Mensch wird Gott anbeten, sich demütigen und seine Schuld bekennen und der Herr wird sich seiner erbarmen.

So war es auch bei Hiob. Er erkannte seine Schuld, tat Buße.

Und der HERR wendete Hiobs Geschick, als er für seine Freunde bat; und der HERR erstattete Hiob alles doppelt wieder, was er gehabt hatte. Und alle seine Brüder und alle seine Schwestern und alle seine früheren Bekannten kamen zu Hiob und aßen mit ihm in seinem Haus; und sie bezeugten ihm Teilnahme und trösteten ihn wegen all des Unglücks, das der HERR über ihn gebracht hatte, und schenkten ihm ein jeder eine Kesita und einen goldenen Ring. Und der HERR segnete das spätere Leben Hiobs mehr als sein früheres; er bekam 14 000 Schafe, 6 000 Kamele, 1 000 Joch Rinder und 1 000 Eselinnen. Er bekam auch sieben Söhne und drei Töchter. Und er gab der ersten den Namen Jemima, der zweiten den Namen Kezia und der dritten den Namen Keren-Happuch. Und es wurden im ganzen Land keine so schönen Frauen gefunden wie Hiobs Töchter; und ihr Vater gab ihnen ein Erbteil unter ihren Brüdern. Hiob aber lebte danach noch 140 Jahre und sah seine Kinder und Kindeskinder bis in das vierte Geschlecht. Und Hiob starb alt und lebenssatt.“ (Hiob 42,10-17)

(a) R.C. Sproul in „Die Heiligkeit Gottes“, S. 89 ff., Hänssler Verlag

*Steve Fernandez schreibt ist seinem Buch „Freie Rechtfertigung“ (S. 109ff. , EBTC):
„Alle Menschen sind in Adam und ausschließlich aufgrund seiner einen Sünde verdammt, nicht aufgrund ihrer eigenen persönlichen Sünden. … Paulus erster Beweis dafür, dass alle Menschen unabhängig von ihren Werken in Adam verdammt sind, ist in Vers 12b zu finden: …der Tod zu allen Menschen durchgedrungen ist, weil sie alle gesündigt haben. Auf den ersten Blick scheint es, dass der Teilsatz …weil sie alle gesündigt haben bedeutet, dass die persönlichen und tatsächlichen Sünden aller Menschen der Grund für ihre Verdammnis sind.
Bei näherem Hinsehen wird jedoch klar, dass dieser Teilsatz vielmehr bedeutet, dass seit Adams Sünde alle Menschen für Gott sündig sind. Das heißt: Als Adam sündigte, wurde uns allen die Sünde zugeschrieben, als hätten wir in seiner einen Sündentat zusammen mit ihm gesündigt.“