Hiobs Freunde - leidige Tröster
Der Gottlose verlasse seinen Weg und der Übeltäter seine Gedanken; und er kehre um zu dem HERRN,
so wird er sich über ihn erbarmen, und zu unserem Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung.
Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR;
sondern so hoch der Himmel über der Erde ist, so viel höher sind meine Wege als eure Wege
und meine Gedanken als eure Gedanken.
Jesaja 55,7-9
Hiobs Freunde hießen Eliphas, Bildad und Zophar. Wer Hiobs Diskussion mit seinen drei Freunden schon mal gelesen hat, hat sicherlich keine so gute Meinung von ihnen. Aber sie waren die einzigen Freunde, die Hiob nicht sofort verachteten und ihn besuchten um ihm als seine Freunde beizustehen.
Damals gab es noch kein Internet, kein Fernsehen, kein Radio und keine Post. Ich bin sicher, Hiobs Geschichte wäre Top Thema der Woche in der ganzen Region gewesen. Als der reichste Mann im ganzen Orient an einem Tag völlig beraubt wurde, mit einem Schlag seine 10 Kinder verlor und wenig später auch noch seine Gesundheit, – wurde das sicherlich auch damals sehr schnell überall bekannt. Seine Freunde kamen überein ihm Beistand zu leisten, aber als sie bei ihm ankamen und das ganze Ausmaß seines Unglücks sahen, verschlug es ihnen tatsächlich die Sprache. Sie trauerten ehrlich mit Hiob, saßen mit ihm in der Asche und redeten kein Wort – eine ganze Woche lang – bis Hiob das Schweigen selbst brach. Was ging in dieser Zeit in ihren Köpfen nur vor sich? Wie wir leider in der folgenden Diskussion sehen können, wussten sie keine wirkliche Antwort und kannten keinen echten Trost, den sie mit ihrem geplagten Freund hätten teilen können. Sie hatten nur eine ganz bestimmte vorgefertigte Antwort parat, die zwar nicht wirklich passte – aber sie musste eben passen! Weil sie keine andere Erklärung fanden, verurteilten sie ihn schließlich.
Seine Freunde meinten Hiob über seine Verzweiflung mit alten weisen Sprüchen (Hiob 8,8;15,9.10.18) trösten zu können. Sie sagten einige sehr richtige und gute Gedanken, aber sie wendeten sie nicht wirklich an. Ihre Schlussfolgerungen entsprangen menschlichem Denken, die sie selbst rechtfertigen sollten. Aber wie kann göttliches Handeln mit menschlichem Denken begriffen oder erklärt werden?
In der ersten Runde betonte jeder der Freunde, dass Gott jedem nach seinem Tun vergilt. Der Gerechte besteht vor Gott, wird von ihm reich gesegnet und wird von ihm vor allen Bedrängnissen geschützt oder heraus gerettet. „Erinnere dich doch (Hiob): Wer ist als Unschuldiger umgekommen, und wo sind Rechtschaffene vertilgt worden? … Siehe, das haben wir erforscht, so ist es; höre es, und du, merke es dir!“ (Hiob 4,7.27) Sie versuchten also Hiob zu verstehen zu geben, dass wenn er nicht gesündigt hätte, dann wäre das Gericht Gottes auch nicht über ihn gekommen.
Hiob entschuldigte sich für seine unbesonnenen Worte, die die Worte eines Verzweifelnden sind. Er appeliert an sie: „Dem Verzagten gebührt Milde von seinem Freund, sonst wird er die Furcht des Allmächtigen verlassen. Meine Brüder haben sich trügerisch erwiesen…“ (Hiob 6,14-15)
Ja, diese Freunde wussten, dass Hiob der untadeligste Mann in der ganzen Umgebung gewesen war… Aus Furcht, das ihnen das gleiche passieren könnte, versuchten sie also das so zu erklären, dass Hiob schrecklich gesündigt haben muss. Hiob wurde zusehends bitter: „Wirklich, ihr seid (die rechten) Leute, und mit euch wird die Weisheit aussterben!“(Hiob 12,2) und „ihr hingegen streicht ja nur Lügenpflaster und seid nichts als Quacksalber, ihr alle!“ (Hiob 13,4)
Er mahnte sie zu recht: „Strafen wird er euch, wenn ihr im Geheimen die Person anseht. Wird nicht seine Hoheit euch bestürzen und sein Schrecken auf euch fallen? Eure Denksprüche sind Sprüche von Asche, eure Schutzwehren erweisen sich als Schutzwehren von Lehm. Schweigt, lasst mich…“ (Hiob 13,10-13)
In der zweiten Runde sagten die drei Freunde eigentlich wieder dasselbe. Diesmal betonten sie jedoch nicht die Immunität des Gerechten vor Gottes Gericht, sondern den Gottlosen, den das gerechte Gericht Gottes ein ums andere Mal überrollt… Ihre Worte wurden schärfer. Und Hiobs Antworten immer verbissener. In einem verzweifelten Appell bat er sie: „Alle meine Vertrauten verabscheuen mich, und die, die ich liebte, haben sich gegen mich gekehrt. … Erbarmt euch meiner, erbarmt euch meiner, ihr meine Freunde, denn die Hand Gottes hat mich angetastet! Warum verfolgt ihr mich wie Gott und werdet meines Fleisches nicht satt?“ (Hiob 19,19.21.22) „Wie tröstet ihr mich nun mit Dunst? Und von euren Antworten bleibt nur Treulosigkeit übrig.“ (Hiob 21,34)
Eliphas antwortete ihm darauf: „Ist es (etwa) wegen deiner Gottesfurcht, dass er dich straft, mit dir ins Gericht geht? Sind nicht deine Bosheiten groß und deine Ungerechtigkeiten ohne Ende? … Wenn du zu dem Allmächtigen umkehrst, so wirst du wieder aufgebaut werden, wenn du Unrecht aus deinen Zelten entfernst.“ (Hiob 22,4.5.23)
Haben Eliphas und seine Freunde nicht recht? Ist es nicht auch das, was die Bibel lehrt?
Nein. Gott lässt sein Handeln nicht in „gut“ oder „böse“ nach menschlichem Ermessen einteilen. Es ist ganz menschlich zu denken, dass Gott mich belohnen müsse für meine guten Werke, und diejenigen bestrafen, die böses tun. Und klug daher reden können wir auch, indem wir vermeintlich weise Sprüche oder sogar Bibelverse anführen, die das zu unterstreichen scheinen. Aber wie wir an Gottes Urteil darüber erkennen können, ist dies sogar Sünde!
Wer auch das Ende des Buches gelesen hat, weiß, dass Gott über die Diskussion zu Eliphas sagte: „Mein Zorn ist entbrannt gegen dich und deine beiden Freunde; denn nicht geziemend habt ihr von mir geredet wie mein Knecht Hiob“ (Hiob 42,7) und über Elihu, der nicht unter diese drei Freunde gezählt wird, steht geschrieben: „Und sein Zorn entbrannte gegen seine drei Freunde, weil sie keine Antwort fanden und Hiob verurteilten“ (Hiob 32,3).
Wir sollten uns sehr in acht nehmen Menschen vorschnell zu verurteilen, aber – was noch schlimmer ist – Gottes Wort dafür zu missbrauchen. Wir kennen Gottes Absichten mit uns selber nicht genau, wie können wir behaupten, seine Absichten mit unserem Nächsten zu kennen? Hiobs Freunde haben viele richtige Sätze über Gott gesagt. Aber sie haben sie nicht geistlich beurteilt, – und sie konnten es auch nicht, weil sie den Geist Gottes nicht hatten, im Gegensatz zu Elihu (Hiob 32,7-9). Die Weisheit der drei besagten Freunde war die Weisheit der Alten, die Überlieferung, also menschliche Weisheit oder eben Philosophie. Klar, dass solch ein Trost während einer Prüfung Gottes keine Hilfe darstellt, sondern eher noch zur Verzweiflung beiträgt.
Hier spricht John MacArthur über das Thema: Falsche Forderungen aus einer falschen Sicht der Vorsehung Gottes
Lasst uns einander lieben und nicht mit leeren Floskeln oder scheinbar weisen Sprüchen „abspeisen“, wenn es unserm Nächsten nicht gut geht. Eine tiefe und harte Prüfung Gottes, benötigt tiefen Trost von Gott selbst, um darin standhalten zu können. Paulus wollte die Korinther auch nur mit dem Trost beistehen, den er selbst von Gott erfahren hatte (2. Korinther 1,3ff), und welcher sich als einzige wahre Stütze erwiesen hatte.
So kennt auch niemand die [Gedanken] Gottes als nur der Geist Gottes.
Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott ist,
sodass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist;
und davon reden wir auch, nicht in Worten, die von menschlicher Weisheit gelehrt sind,
sondern in solchen, die vom Heiligen Geist gelehrt sind, indem wir Geistliches geistlich erklären.
Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist; denn es ist ihm eine Torheit,
und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt werden muss.
1. Korinther 2,11-15
„Mir scheint es, als würden wir ständig entweder auf der einen oder der anderen Seite des Pferdes herunterfallen,
wenn es darum geht, streng und zart, widerstandsfähig und freundlich, mutig und mitfühlend zu sein.
Wir drücken uns vor der Wahrheit, wo wir furchtlos sein sollten,
oder wir streiten, wo Weinen angebracht wäre. …
Oh wie selten gibt es Christen, die mit mitfühlendem Herzen sprechen und theologisches Rückgrat zeigen,
weil sie eisern an Gottes Wort festhalten. …
Oh wenn es doch Christen und Pastoren gäbe, die ebenfalls so sanftmütig sind, wie sie kraftvoll die Wahrheit verkündigen.
Es geht um Christen, deren offensichtliche Bußgesinnung ihrem theologischen Scharfsinn entspricht.
Deren große Demut sich mit ihrem erstaunlichen Intellekt messen kann.
Ja, und umgekehrt!
Deren Eifer beim Bibelstudium es mit ihrer zwischenmenschlichen Wärme aufnehmen kann,
deren waches biblisches Unterscheidungsvermögen ihrer barmherzigen Art in nichts nachsteht
und deren Sinn für Humor von der Ernsthaftigkeit ihrer Berufung übertroffen wird.„
John Piper
in seinem Buch „Beharrlich in Geduld“, S. 55
Roger Peugh zitiert Robert Kellemen mit folgenden Worten:
„Seel-Sorge … ist, sich an die Seite anderer Menschen zu begeben, um sie in ihrem Leiden zu trösten. … Wir haben die Tendenz entweder auf das Leiden oder auf die Sünde zu schauen. Wir sehen den Ratsuchenden entweder als Opfer, das getröstet oder als Sünder, der konfrontiert werden muss. In der biblischen Seelsorge gibt es kein entweder-oder. Es ist sowohl-als auch … Der Seelsorger fungiert als ein Leitungsrohr. Seelsorger bauen Brücken vom Ratsuchenden zu Christus und zu anderen Christen.“ (a)
Ein sehr schönes Beispiel dafür ist Elihu, der in den Kapiteln 32 – 37 einfühlsam und doch unnachgiebig Hiobs Hochmut in seiner Selbstgerechtigkeit vor einem heiligen Gott aufzeigt und betont, dass Gott sich nicht in ein menschliches Denkmuster pressen lässt, und dennoch absolut gerecht ist und entsprechend handelt. Er versucht Hiobs Blick auf Gottes unbegreifliches, wunderbares Handeln im Sturm (= Leid?) zu lenken und bereitet ihn so auf die Begegnung mit Gott im Sturm vor. Er baut eine Brücke zwischen Hiob und Gott.
Wenn wir aber nun keinen geistlichen Rat und keinen Trost von Gott haben, den wir mit einem Leidenden teilen können, dann sollten wir auch so demütig sein und dies zugeben können. Wie wäre es, wenn du für deinen Nächsten im Gebet einstehst und Gott bittest seinen Trost und seine Führung deinem Nächsten selbst zu offenbaren? Ich denke, dies wird Gott am meisten in dieser Situation verherrlichen, es wird dein Herz bewahren und deinem Nächsten Gottes Segen bescheren.
Aber wie soll ich mit Menschen umgehen, die sich an mir versündigt haben? Wie hat Hiob gehandelt?
Lese hier weiter: Elihu, der Seelsorger
Oder hier: Vergeben
(a) Roger Peugh und Tammy Schultz in ihrem Buch „Gott verändert Menschen durch Gebet“, S. 49,
zitiert Robert Kellemen in seinem Buch „Soul Physicians: A Theology of Soul Care and Spiritual Direction“, S. 25