Trost im Tal Empfangen

Wurdest du schon mal durch ein Zeugnis entmutigt? Warst du schon einmal für jeglichen Trost unempfänglich?

Kommt, lasst uns dem HERRN zujubeln und jauchzen dem Fels unsres Heils! Lasst uns ihm begegnen mit Lobgesang und mit Psalmen ihm zujauchzen! Denn der HERR ist ein großer Gott und ein großer König über alle Götter. In seiner Hand sind die Tiefen der Erde, und die Gipfel der Berge gehören ihm.

» Psalm 95,1-4

Eines Sonntagmorgens konnte ich nicht richtig wach werden, wie so oft, wenn sich Brainfog (Gehirnnebel oder Bewusstseinseintrübung) ankündigt. Mit einigen Schwierigkeiten schaffte ich es aufzustehen und mich an den Frühstückstisch zu setzen. Mein Mann hatte mir einen Tee gemacht, an dem ich benommen nippte, aber viel mehr bekam ich nicht mit. Eigentlich wollte ich zum Gottesdienst fahren, aber die Müdigkeit war so überwältigend, dass ich sitzend plötzlich wegkippte – aufwachte – wegkippte – aufwachte, einige Male hintereinander, bis mein Mann mich beunruhigt zurück uns Bett schickte. Ich tastete mich bis ins Schlafzimmer vor und ließ mich aufs Bett fallen, auf dem ich dann auch genauso einschlief. Mein Mann deckte mich zu und fuhr zum Gottesdienst.

Ich kann nicht sagen, wie lange ich da so gelegen hatte. Es dauert meistens Stunden, bis ich wieder ganz bei Bewusstsein bin und dieser Zustand ist wirklich schwierig zu beschreiben. Wenn ich beginne zu mir zukommen, fühle ich mich wie tief unter Wasser, um mich herum ist alles dunkel und wie Watte. Doch dann kann ich weit weg ein kleines Licht erkennen und ich versuche mich für einen Moment danach auszustrecken, doch dann verliere ich wieder das Bewusstsein. Das wechselt sich dann viele Male ab. Langsam werden die Aufwachphasen länger, das Licht kommt näher und wird heller und die bewusstlosen Phasen werden immer kürzer – bis ich endlich die Wasseroberfläche durchbrechen, die Augen öffnen (und offen halten) und meine Umwelt wieder wahrnehmen kann.

Nun, jener Sonntagmorgen war jedoch etwas ganz Besonderes. Während der Aufwachphase hörte ich erst ein paar Wortfetzen, dann ganze Sätze, bis ich schließlich verstand, dass sich meine Nachbarn draußen unterhielten. In meinem Innern fühlte ich tiefe Traurigkeit, dass ich wieder den Gottesdienst verpasst hatte und das mich der Brainfog wieder so stark überwältigt hatte… Doch plötzlich hörte ich eine andere Stimme, und zwar die eines Familienangehörigen. Doch ich war alleine in der Wohnung. 
Was hörte ich da?
Ja… Er bat und flehte so innig für mich im Gebet! Es war, als ob Gott ein wenig den Vorhang beiseiteschob um mich ein wenig lauschen zu lassen – das Einzige, was ich in diesem Moment konnte – und mich dadurch tröstete. Ich kann gar nicht beschreiben, wie tief mich dieses Gebet bewegte und wie viel Trost und neuen Mut es mir gab…!

*****

Was empfindest du, wenn du diese Begebenheit liest? Damals konnte ich es kaum fassen und war so ermutigt und gestärkt worden. Aber solche Tröstungen sind sehr selten, Gott weiß, wann wir dessen bedürfen. Die meiste Zeit tröstet er uns durch „alltägliche“ Dinge, wie die Bibellese, ein Lied, ein freundliches Wort usw. Und es gibt Zeiten, in denen wir scheinbar gar keinen Trost empfangen.

In solchen Zeiten können solche Geschichten wie Salz in der Wunde sein. Dinge, die uns eigentlich trösten und stärken sollten, entmutigen uns. Wenn wir hören, wie jener ganz besonders Gottes Nähe erfahren durfte, oder ein anderer in besonderer Weise getröstet worden ist, oder jemand durch Gottes Beistand in seinem Leid dieses oder jenes schaffen konnte, – entmutigt es uns, weil es uns irgendwie unser Versagen vor Augen stellt oder wir meinen, Gott habe uns verlassen. Das was jene geschafft haben,  ist für uns unerreichbar und möglicherweise liebt Gott andere mehr als uns, wenn er uns doch nicht genauso beisteht, wie jenen.

Vielleicht trösten uns in diesem Gemütszustand eher solche Berichte von Menschen, die ähnliche Täler durchschritten haben und ähnliche Anfechtungen und Niederlagen erfahren haben wie wir. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Tagebuch von dem Missionar David Brainerd, der tuberkulosekrank stark an Einsamkeit und depressiver Verstimmung litt, während er im Dschungel Indianerstämme mit dem Evangelium erreichte. In seinem Tagebuch schrieb er ganz ehrlich all seine Anfechtungen, Gefühle und seine Kämpfe damit nieder. Für viele Menschen sind seine Aufzeichnungen zu einem Trostbuch geworden.

Die Erfahrungen anderer Gotteskinder können uns, wenn wir in tiefen Wassern sind, ein großer Trost sein, solange der Glaube es festhält, dass ihre Erfahrung der Rettung auch die unsere sein wird; doch wenn wir fühlen, dass wir untergehen, ist es ein schlechter Trost, zu wissen, dass andere schwimmen.

» C.H. Spurgeon

C.S. Lewis schrieb einmal, dass wir oft vergessen, dass Gott uns Menschen wechselhaft erschaffen oder ständigem Wechsel unterworfen hat. Es ist ganz natürlich, dass sich in unserem Leben Tag und Nacht, Sommer und Winter, Anspannung und Entspannung, wie Freude und Leid abwechseln. Unser Leben ist niemals gleichmäßig oder gleichbleibend. Und wie es in dieser materiellen Welt ist, so ist auch unser geistliches Leben einem Wechsel unterworfen. Wenn wir geistlich gesprochen auf einem Berg oben angekommen sind, entspannen wir uns nach der Anstrengung des Aufstiegs und unterliegen oft der Annahme, dass dieser herrliche „Zustand“, also die Stärkung, Tröstung und die spürbare Nähe Gottes weiter anhalten wird.* Wir hören auf zu kämpfen, aber der Abstieg beginnt langsam und früher oder später finden wir uns in einem Tal wieder. Und dann unterliegen wir wieder derselben Lüge und glauben niemals wieder auf den Gipfel des Berges aufsteigen zu können. Beinahe neidisch hören wir denen zu, die sich gerade auf einem Gipfel befinden.

Die Elenden und Armen suchen Wasser und finden keines; ihre Zunge verdorrt vor Durst. Ich, der HERR, will sie erhören; ich, der Gott Israels, will sie nicht verlassen.
Ich lasse Ströme hervorbrechen auf kahlen Höhen und Quellen inmitten der Täler; ich mache die Wüste zum Wasserteich und dürres Erdreich zu Wasserquellen. 

» Jesaja 41,17-18

Doch nur allein Gott ist immer derselbe, „bei dem keine Veränderung ist, noch ein Schatten infolge von Wechsel“ (Jakobus 1,17). Das sollten wir niemals vergessen und uns entmutigen lassen. Wir dürfen von Kraft zu Kraft schreiten, aber dazwischen kommt immer eine Periode der stärkeren oder milderen Kraftlosigkeit. Denke an diese herrliche Verheißung, die der Herr denen gegeben hat, die kraftlos und entmutigt sind:

Weißt du es denn nicht, hast du es denn nicht gehört?
Der ewige Gott, der HERR, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt;
sein Verstand ist unerschöpflich!
Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. 
Knaben werden müde und matt, und junge Männer straucheln und fallen;
aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler,
dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.

» Jesaja 40,29-31

Wohl dem Menschen, dessen Stärke in dir liegt, [wohl denen], in deren Herzen gebahnte Wege sind! 
Wenn solche durch das Tal der Tränen gehen, machen sie es zu lauter Quellen, und der Frühregen bedeckt es mit Segen. 
Sie schreiten von Kraft zu Kraft, erscheinen vor Gott in Zion.

» Psalm 84,6-8

*C.H. Spurgeon legt diesen Umstand zu Psalm 30,7-8 folgend aus:

Und ich sprach, als es mir gut ging: »Ich werde ewiglich nicht wanken!«
HERR, durch deine Gnade hattest du meinen Berg fest hingestellt; als du aber dein Angesicht verbargst, wurde ich bestürzt.

„O David, da sagtest du mehr, als zu sagen oder auch nur zu denken weise war; denn Gott hat den Erdboden auf die Meere gegründet, um uns zu zeigen, wie armselig, veränderlich, leicht beweglich und unbeständig diese Welt ist. Wehe dem, der auf sie baut! Er baut sich selbst einen Kerker für seine Hoffnungen. Statt zu denken, wir würden niemals darniederliegen, täten wir besser daran zu denken, dass wir uns bald legen werden, um hier auf Erden niemals mehr aufzustehen. Nichts ist beständig unter dem wechselnden Mond. Weil es mir heute wohlergeht, darf ich nicht meinen, es müsse morgen auch so sein. Wie die oberste Speiche des Rades in regelrechtem Lauf bald die unterste ist, so geht es mit allem auf Erden. Es findet unaufhörlich eine Umwälzung statt. Viele, die heute im Staub liegen, werden morgen hoch erhöht sein, während die, welche heute in schwindelnder Höhe sind, bald den Erdboden küssen werden. Der Wohlstand hatte David offenbar den Kopf verwirrt, sonst hätte er nicht so voll Selbstvertrauen sein können. Dass er stand, hatte er nur der Gnade zu verdanken; dennoch vergaß er sich, und darum tat er einen Fall.
David schrieb sein Gedeihen der göttlichen Gnade zu, und so weit handelte er richtig; denn es ist gut, das Walten des Herrn darin zu erkennen, wenn wir einen festen Stand haben und es uns wohlgeht. Aber wir können hier wahrnehmen, wie das Gute auch bei guten Menschen nicht unverfälscht gut ist; denn diese Anerkennung der göttlichen Quelle seines Wohlstands war bei David vermischt mit fleischlicher Sicherheit. Er vergleicht seinen Stand mit einem Berg – ein Maulwurfshügel hätte einen treffenderen Vergleich geliefert, denn wir können von uns nicht leicht zu gering denken. Er rühmte, dass sein Berg feststehe; und doch hatte er in dem unmittelbar vorhergehenden Psalm (29,6) vom Libanon und Hermon als von hüpfenden Kälbern gesprochen. War Davids Stand fester als der Libanon? Ach, du eitle Selbstüberschätzung, wie liegst du uns allen so nah! Wie schnell zerplatzt die Seifenblase, wenn Gotteskinder eingebildet werden und annehmen, sie könnten unter den Sternen Unveränderlichkeit genießen und Beständigkeit auf diesem beständig sich wirbelnden Erdball! Wie empfindlich war die Art, wie Gott seinen Knecht von seinem Irrtum zurückbrachte:
Gott brauchte nicht zur Rute zu greifen; das Verbergen seines Angesichts war genug. Das zeigt erstens, dass Davids Frömmigkeit echter Art war: Denn was kümmert es einen Sünder, ob Gott sein Angesicht ihm verbirgt? Und zweitens sehen wir hier, wie völlig die Freude gottseliger Menschen davon abhängt, dass der Herr ihnen nahe ist. Kein Berg, wie hoch immer er sei, kann uns einen Ruheplatz gewähren, wenn unsere Gemeinschaft mit Gott unterbrochen wird und sein Antlitz vor uns verhüllt ist. Doch wohl denen, die dann Leid tragen! Das Beste ist, sich in dem Licht des göttlichen Antlitzes sonnen zu können; das Nächstbeste, gründlich unglücklich zu sein, wenn uns dieses Glück verwehrt ist.“

C.H. Spurgeon, „Die Schatzkammer Davids, S. 1002ff., CLV Verlag

„Du sahst an einem Februartag die Sonne freundlich scheinen, der Himmel war blau, in den Hecken begannen die Knospen zu schwellen, Schneeglöckchen lachten dich an, die Vögel sangen im Gebüsch, und du dachtest, der Frühling sei gekommen mit seiner Pracht und mit seinem Duft. Aber wenige Tage später, da kommen die Wolken wieder, die Luft war frostig kalt, die Vögel schwiegen und Schnee lag auf der Erde – da meintest du, der Frühling werde nie kommen. Gerade so ist es auch dem eben bekehrten Christen freudig zumute; all seine Furcht ist weg, der Trost des Evangeliums erfüllt sein Herz, und Preis und Dank strömen von seinen Lippen. Und da meint er verkehrterweise, dass alle Trübsal und Traurigkeit für immer verschwunden sei. Aber nach einer Weile wird er wieder von Zweifeln angefochten, die Freude weicht, das Licht scheint nicht mehr hell, sein Herz wird von Traurigkeit überwältigt, und er schließt nun eben so voreilig, die Erlösung mit all ihren Segnungen sei nicht für ihn. Aber der Frühling bricht dennoch siegreich durch, auch wenn er eine Weile mit dem Winter kämpfen muss.“            – H.G. Salter, 1840 zu Psalm 42,12

C.H. Spurgeon, „Die Schatzkammer Davids, S. 1460., CLV Verlag