Von der Ohnmacht
…gegenüber dem Leid im Leben unserer Lieben
„Das widerfahre dir nur nicht…!“, entfuhr es Petrus, als Jesus ihm und den anderen Jüngern zum ersten Mal seine kurz bevorstehenden Leiden ankündigte. So in etwa fällt auch meine erste Reaktion aus, wenn mich eine Hiobsbotschaft für eine geliebte Person erreicht. Mein Herz schmerzt für den Leidenden. Lässt sich diese Not nicht irgendwie verhindern? Doch wie? Wie gut kann ich mich mit Petrus’ Reaktion auf Jesu erste Leidensankündigung identifizieren!
In vielen Fällen lässt sich Leid nicht abwenden. In den letzten fünf Monaten, seitdem mich ein weiterer Krankheitsschub begleitet, höre ich immer wieder von lieben Freunden Sätze wie diese:
„Wenn ich nur wüsste, was dir helfen könnte…!“
„Ich würde sofort dies oder jenes tun, wenn es deine Beschwerden lindern könnte…“.
Wenn wir das Leid im Leben unserer Lieben sehen, dann fühlen wir uns ohnmächtig. So gerne wollen wir helfen, etwas tun, ja etwas zur Besserung beitragen!
Manchmal liege ich in der Nacht wach und grüble darüber nach, wie ich jener Person helfen kann. An Ideen mangelt es selten. Aber würde es ihr wirklich helfen? Das Leid lindern? Würde sie meinen Vorschlag dankbar annehmen oder würde ein weiterer Ratschlag nur Salz in die Wunde streuen? So wie ich das von mir selbst kenne… Will sie überhaupt darüber reden? Oder könnte ich praktisch helfen?
Ungeachtet wie lange ich darüber grübele, einen Schritt weiter komme ich ja doch nicht. Ich muss mir eingestehen, dass ich es nicht wissen kann, was meinem Freund wirklich helfen könnte. Das macht mich unsagbar traurig. Trotz Gebet wird es nicht besser. Das Gefühl der Machtlosigkeit bemächtigt sich meiner und lähmt mich. Irgendwann falle ich in einen unruhigen Schlaf.
So ähnlich mag es Petrus und den Jüngern ergangen sein, als sie sich im Garten Gethsemane befanden. Die Jünger waren bedrückt und machtlos gegenüber dem Leid, das Jesus bevorstand. Selbst wenn sie wollten, konnten sie nichts dagegen ausrichten. Als Jesus seine schwerste Stunde im Garten Gethsemane durchlebte, die Zeit, in welcher er Petrus, Jakobus und Johannes zum ersten (überlieferten) Mal um ihren Gebetsbeistand bat, schliefen diese ein – vor lauter Traurigkeit (Lk 22,45).
Die Traurigkeit ermüdete sie, sodass sie trotz des heftigen Gebetskampfes Jesu nur einen Steinwurf entfernt, seiner eindringlichen Bitte und mehrmaligen Ermahnung nicht wach bleiben konnten. Jesus sagte zu Petrus: „Konntet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen?“ (Mt 26,40).
Traurigkeit kann so lähmend wirken, die Machtlosigkeit so überwältigend sein! Nichts kann getan werden um die Situation zum Positiven zu wenden. In solchen Situationen erdrückt es mich in solch einer Weise, dass es mir wie damals Petrus schwer fällt dem Betroffenen im Gebet beizustehen oder auch nur mit ihm in der Stille auszuharren, wie es Hiobs Freunde in der ersten Woche ihres Besuchs taten.
Als schließlich die Schar der Soldaten Jesus und seinen Jüngern gegenüber standen, beschloss Petrus in dieser ausweglosen Situation einen wagemutigen – oder doch verzweifelten? – Versuch, das Leiden Jesu in letzter Minute abzuwenden. Er griff zum Schwert und hieb dem Diener des Hohepriesters das Ohr ab. Doch die ernüchternde Tatsache: Er hatte gar nichts damit ausgerichtet. Stattdessen rief sein missglückter Rettungsversuch nur noch mehr Leiden hervor.
Und ein weiteres Mal erkenne ich mich in Petrus Aktion wieder. Wenn der Drang irgendetwas zu unternehmen überwältigend wird, dann greife ich zu Worten oder Mitteln, von denen ich mir verspreche, dass sie helfen, – und dass sie mich insgeheim von meiner Ohnmacht befreien. Doch unbedachte, impulsive Worte bzw. Aktionen ziehen erfahrungsgemäß nur noch mehr Leid nach sich. Sie können unerwartet stark verletzen und die Seelenwunde des Leidenden deutlich verschlimmern. Selbst wenn die Worte abgewogen und scheinbar sensibel ausgedrückt werden, so schmerzt jede Berührung einer offenen Wunde und kann weiteres Unheil anrichten.
Die beste Medizin für mein Fehlverhalten habe ich darin gefunden: Mir meine Ohnmacht einzugestehen und mit ihr zu dem Allmächtigen zu gehen, der von sich selbst sagt: »Ich bin es, der ich von Gerechtigkeit rede und mächtig bin zum Retten!« (Jes 63,1).
Wie oft hat Jesus Menschen geholfen, geheilt und große Wunder getan, als Freunde oder Angehörige mit ihren Bitten zu dem kamen, der mit dem Willen zu helfen auch die Macht dazu hatte? Lasst uns ihrem Beispiel folgen!
Lasst uns aufhören einander zu verletzen, wenn wir das vor uns liegende Leid nicht ertragen können und es uns in tiefe Traurigkeit stürzt. Lasst uns unsere Ohnmacht akzeptieren und die Verantwortung Gott übergeben. Lasst uns alle unsere Sorgen auf ihn werfen, denn er sorgt für jeden von uns.
Es ist wahrhaft befreiend dies zu verstehen und auch anzunehmen. Das Schicksal des Anderen ist nicht in dramatischer Weise von deiner Hilfe abhängig. Du kannst ihn nicht retten. Du bist nicht das Zünglein an der Waage, welches entscheidet, in welche Richtung es sich für deinen Freund entwickelt. Alle deine Sorgen und Gefühle können nichts an der Situation ändern.
Das hatte Petrus erkannt.
Lasst uns Gott ehren, in dem wir die Not in seine mächtigen Hände übergeben und ihm dafür die Verantwortung überlassen. Gott kann helfen, viel besser als du es je erdenken könntest. Er wird zu seiner Zeit eingreifen, so wie es das Beste für deinen Freund ist. Glaubst du das?
Demütigt euch nun unter die mächtige Hand Gottes, damit er euch erhöht zur rechten Zeit, indem ihr alle eure Sorge auf ihn werft! Denn er ist besorgt für euch.
» 1. Petrus 5,6-7 ELB
Wenn du diesen schwierigen Akt ernsthaft vollbringen kannst, dann geschieht etwas wunderbares: Es befreit dich von Verantwortung und Ohnmacht und stärkt dich gleichzeitig dazu, ein wirklicher Beistand für den Leidenden zu werden. Dadurch, dass der Fall nun in wahrhaft kompetenten Händen liegt, ist dir die Last von den Schultern genommen. Du bist dazu befreit die Last des Andern mitzutragen.
Wie könnte das aussehen? Das kannst du Gott und den Leidenden persönlich fragen. Das kann von reiner Gebetsunterstützung zu seelsorgerlicher Anteilnahme bis hin zu praktischer Hilfe reichen. Lass dich darin nicht von deinen Gefühlen, sondern vom Geist Gottes leiten. Vielleicht will er dich als sein Werkzeug gebrauchen, deinem Freund seine Hilfe angedeihen zu lassen!
Zum Abschluss möchte ich dir das Gebet von Petrus ans Herz legen, welches er für seine leidenden Geschwister betete.
Du kannst dir dieses Gebet zu eigen machen und in dieser Weise für deinen Freund bitten.
Der Gott aller Gnade aber, der uns berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, er selbst möge euch, nachdem ihr eine kurze Zeit gelitten habt, völlig zubereiten, festigen, stärken, gründen!
Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
» 1. Petrus 5,10-11
Hier kannst du zum Thema weiterlesen: Die richtigen Worte zur rechten Zeit