Erzwungene Zerstreuung
Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, so will ich euch erquicken!
Matthäus 11,28
Wahrscheinlich kennt jeder den Zustand während einer Grippe. Die Glieder schmerzen, die Nase läuft, die Augen tränen, die Ohren sind zu, der Kopf schmerzt und vielleicht rebelliert noch der Magen. Man kann nicht schlafen, man kann nicht lesen oder sich irgendwie konzentrieren. Meistens greift man dann nach den Medien, von denen man sich stundenlang berieseln lassen kann ohne sich irgendwie anstrengen zu müssen. Es sind Zeiten, in denen es uns körperlich vielleicht miserabel geht, der Geist in uns aber nach Ablenkung und Beschäftigung verlangt.
Seit dem diese Zeiten häufiger oder dann täglich meinen Alltag begleiten, kam ich ins Grübeln. Wie viel Zeit habe ich dann zum Beispiel hinter dem Bildschirm verbracht! Erfahrungsgemäß geht es mir danach noch schlechter. Zum einen deswegen natürlich, weil es mich dann irgendwann doch überreizt und ermüdet, aber zum anderen, weil ich innerlich merke, dass es mich abstumpft, dass es mich von Gott entfernt und dass es einfach so viel verlorene Zeit ist. Sicher gibt es noch mehr Gründe dafür, warum man sich nach Stunden vor dem Bildschirm leer und trotzdem vollgemüllt fühlt, man übermüdet ist, obwohl man die ganze Zeit gelegen hat.
Kann ich diese Zeit nicht irgendwie sinnvoll nutzen? Irgendwie in solcher Weise, die mich körperlich und seelisch erfrischt? Welche Beschäftigung wäre da nicht besser geeignet, als solche, die mich Gott näher bringt? Anstatt mich mit elenden, sinnlosen oder gar sündigen Dingen abzuquälen, die mich im Nachhinein belasten, erfrischt eine Begegnung mit Gott mein Herz, erfüllt es mit Dankbarkeit und Zufriedenheit und kann Dinge, die schwer auf mir lasten, von mir nehmen. Und genau das ist heilsam für Körper und Seele.
Christen müssen zwei Lektionen lernen:
Zum einen müssen wir lernen, die Freude an Gott in allem zu finden,
und zum anderen müssen wir uns aneignen, die Freude an allem in Gott zu finden.
Charles Simeon
Auf der Suche nach Antworten damals bin ich auf das Tagebuch von David Brainerd gestoßen. Er missionierte alleine unter Indiandern, obwohl er seit seiner Jugendzeit an Tuberkulose erkrankt war und mit 29 Jahren im Haus von Jonathan Edwards daran verstarb. Er musste viel Zeit allein und im Bett verbringen, obwohl er voller Tatendrang für Christus war. Er erlebte diese Zeiten als Last, bis er die Bedeutung und den Wert dieser „müßigen“ Stunden erkannte.
Ich möchte zwei Tagebucheinträge zitieren, die mich sehr bewegt, mir aus dem Herzen gesprochen haben und vielleicht auch Dir weiterhelfen.
David Brainerd, 30. April 1745
War kaum in der Lage umherzugehen, und musste einen großen Teil des Tages das Bett hüten. Verbrachte die Zeit sehr einsam, konnte weder lesen , nachsinnen, noch beten und hatte in der Wildnis niemanden, mit dem ich mich unterhalten konnte. Oh, wie träge zieht die Zeit vorüber, wenn ich nichts zu irgendetwas Gutem tun kann, sondern gezwungen zu sein scheine kostbare Zeit zu vertändeln!
Doch in letzter Zeit habe ich es als meine Pflicht angesehen mich mit allen rechten Mitteln abzulenken, damit ich wenigstens einen kleinen Teil meiner Zeit fähig bin, um für Gott zu arbeiten. Und dies ist der Unterschied zwischen meinen gegenwärtigen Zerstreuungen und denen, welchen ich einst nachgegangen war, als ich in meinem natürlichen Stand war. Da machte ich aus meinem Zeitvertreib einen Gott, freute mich daran, missachtete Gott und zog aus meinen Zerstreuungen meine größte Befriedigung.
Jetzt benutze ich sie als Mittel, die mir helfen für Gott zu leben. Ich freue mich fest an ihm und nicht an diesen Dingen und ziehe meine größte Zufriedenheit aus ihm. Damals waren sie mein Alles, jetzt sind sie nur Mittel, die mich zu meinem Alles führen. Und die größten Ablenkungen sind, wenn man ihnen mit dieser Sicht nachgeht, kein Hindernis für Geistlichkeit, sondern fördern sie; und ich erkenne nun mehr als je zuvor, dass sie absolut notwendig sind.
David Brainerd, 01. Februar 1747
Ich war zwar in sehr schwachem und mattem Zustand, doch ich hatte ein sehr außergewöhnliches Maß an Trost und Seligkeit in göttlichen Dingen. ich wurde auch befähigt zu bitten, und – ich denke mit kindlichem Geist – im Gebet vor Gott Argumente vorzubringen. Mir kam diese Schriftstelle in den Sinn und sie war mir eine große Hilfe:
„Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben versteht,
wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten!“ (Lukas 11,13)
Mir wurde geholfen gemäß dieses Textes zu bitten und auf ihm zu beharren, und ich sah, dass Gottes Treue sich verpflichtete, besser mit mir umzugehen, als es irgendwelche irdischen Eltern mit ihrem Kind tun können. Diese Zeit erquickte so sehr meine Seele, dass auch mein Leib dadurch zu gewinnen schien. Von dieser Zeit an ging es mir nach und nach besser. Als ich etwas Stärke, Energie und Geist wiedererlangt hatte, hatte ich manchmal etwas Freimütigkeit und Lebendigkeit in dem Halten der Andachten und ein wenig Sehnsucht nach Geistlichkeit und einem Leben, welches den Interessen des großen Erlösers dienlich ist.
Zu anderen Zeiten war ich furchtbar fruchtlos und lustlos und überhaupt nicht in Stimmung für die Dinge Gottes, sodass ich oft ausrufen wollte: „Oh, dass es doch mit mir sein möge wie in den letzten Monaten!“ Oh, dass Gott mich mit einem jähen Schlag mitten in der Zeit hinweggenommen hätte, als ich brauchbar war, damit es für mich nicht nötig gewesen wäre Zeit mit Zerstreuungen zu vertändeln! Oh, dass ich doch nie im Leben so viel kostbare Zeit in solch armseliger Weise und mit so wenig Nutzen verbracht hätte! Darüber dachte ich oft nach, war bekümmert, beschämt, sogar bestürzt, niedergeschlagen und entmutigt.
Jonathan Edwards schreibt zu diesen Einträgen folgenden Kommentar:
„Er spricht davon, dass er manchmal sieht, wie sein Herz über die herrlichen Vollkommenheiten Gottes frohlockt und sich danach sehnt, für ihn zu leben. Doch er beklagt sich über das Schwanken seiner Gedanken und dass sie leicht von himmlischen Dingen abgelenkt werden, und schreit wegen seiner Auszehrung auf, die in lautester Weise gegen ihn zeuge.
In Bezug auf die Zeiten der Entspannung, welche er für seine Gesundheit suchen musste, sagt er, dass er manchmal sieht, dass er diese Zeit der Zerstreuung „mit aufrichtigem Herzen“ suchen kann, sodass sie auf die Ehre Gottes abzielen. Doch er sah auch, dass es notwendig war, sehr aufmerksam und wachsam zu sein, damit er nicht in den Zeiten der Zerstreuung diese geistliche Gemütsverfassung verliert und sie nicht zu etwas verkommen, das eher selbstsüchtig ist und ohne dass es darin irgendein überragendes Ziel der Ehre Gottes gibt.„
Das augenblickliche Leid im Kampf gegen die Sünde ist nicht so groß wie jene Unruhe,
die uns eine Verderbtheit hinterher einbringt, an der wir Gefallen fanden.
Wahrer Friede wird im Sieg gefunden und nicht im Aufgeben. …
So ist es im geistlichen Leben am nötigsten, dass der Geist den Geschmack der Seele ändert,
sodass sie die Dinge des Geistes so intensiv genießen kann, dass alle anderen Dinge geschmacklos werden. ….
Wenn wir nachlässig mit unserer Seele werden,
wird Gott unseren Geschmack an den richtigen Dingen durch heftige Leiden wieder herstellen.
So wurden David, Salomo und Simson wieder zurecht gebracht.
Es ist weitaus leichter, den Geschmack an den richtigen Dingen beizubehalten als diesen wieder herzustellen.
Richard Sibbes (b)
(a) Jonathan Edwars in seinem Buch „Das Leben des David Brainerd“, S. 329, 3L Verlag
(b) Richard Sibbes in „Geborgen in ihm“, 3L Verlag